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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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barg seine wenige Munition darin. Die Büchse aber nahm er mit; sie schien ihm nur in seiner eigenen Hand und unter seinen eigenen Augen sicher genug.
    Der Vater und der Junge stiegen hinauf zur Quelle, tranken und rieben sich mit würzig duftenden Krautern ein, um dem Wild nicht die Witterung von Menschen zu geben. Dann bogen sie in den Felspfad ein, der den einzigen Zugang zu dem kleinen Tal gewährte. An der schmälsten Stelle, die sie nach etwa fünfzig Metern erreichten, legte Mattotaupa einen Stein hin, der der Form nach paßte und nicht leicht abgleiten würde, und der auch groß genug war, um ein Pferd von dieser schwierig passierbaren Stelle abzuschrecken. Die beiden Mustangs hatten hier schon gezögert, als ihre Reiter sie in der vergangenen Nacht über den Felspfad zu dem Wiesentale führten.
    Mattotaupa umging mit seinem Sohn die Höhen nördlich ihres Versteckes, und die beiden gewannen den Hang, auf dem sie in der vergangenen Nacht heraufgekommen waren. Hier machte ihnen der Abstieg keine weiteren Schwierigkeiten. Sie kamen rasch voran. Als sie sich der Waldblöße näherten, die sie von oben gesehen hatten, wurden sie sehr vorsichtig, um kein Wild scheu zu machen. Mit Handzeichen gab Mattotaupa dem Jungen die Anweisung, auf einen Baum am Wiesenrand zu klettern und die Jagd von dort zu beobachten. Harka griff in die Zweige und kletterte gewandt hinauf bis zu einer Astgabelung, in der er es sich einigermaßen bequem machen konnte und Ausschau zu halten vermochte, ohne selbst gesehen zu werden. Er beobachtete von hier aus den Vater, der sich ein wenig abseits im Gebüsch gut verbarg. Dann hieß es warten.
    Wenn die beiden Indianer Pfeil und Bogen bei sich gehabt hätten, wäre die Jagd nicht schwer gewesen. Aber sie besaßen nichts als das zweischneidige spitze Messer, das Harka auf seiner Flucht mitgenommen und dem waffenlos verbannten Vater gegeben hatte, und Harkas doppelläufige Büchse, die ihm von The Red geschenkt worden war und die nur der Junge zu gebrauchen gelernt hatte. Wenn er nicht seine wenige Munition verschwenden und mit dem Krachen eines Schusses die ganze Umgebung aufschrecken wollte, mußte der Vater den Hirsch mit dem Messer töten, so wie er auch schon einen grauen Bären getötet hatte. Mattotaupa war ein großer Jäger.
    Der Junge im Baum fror und hatte verzehrenden Hunger, aber er vergaß beides, als die Sterne zu verblassen begannen und das Ende der Nacht sich damit ankündigte. Er schaute hinunter auf Waldboden und Wiese, auf die sehr deutlichen Fährten des Hirsches, der hier am Morgen zur Tränke zu gehen pflegte. Es war still im weiten Wald. Nichts störte die Erwartung, daß das Tier auch an diesem Morgen kommen werde. Harka lauschte, und Freude durchzuckte ihn, als er den ersten vorsichtigen Tritt vernahm, unter dem doch dürre Zweige geknackt hatten. Das Geräusch wiederholte sich und kam auf die Waldwiese zu, offenbar genau auf die Stelle, an der Harka und sein Vater versteckt waren.
    Der Himmel begann unterdessen lichter zu werden, aber die Sonnenstrahlen trafen den Wald noch nicht. Nur die höchsten Berggipfel fingen schon goldenes Licht; Hänge und Täler lagen noch in Schatten und Dunst.
    Der Hirsch kam. Es war nicht der mächtige Wapiti, sondern ein Weißschwanzhirsch mit dem eigentümlich nach vorn gebogenen Geweih. Es war ein stolzes Tier, ein Zwölfender.
    Noch schien der Hirsch keinen Verdacht geschöpft zu haben, daß ihm eine Gefahr drohe. Er ging den von ihm selbst ausgetretenen Pfad durch den Wald. An den weit ausgreifenden Wurzeln des Baumes, auf dem Harka saß, machte er einen Augenblick halt, hob den Kopf, äugte und windete. Als er weiter zu der Wiese mit dem leise rieselnden Bach ging, gelangte er an das Gebüsch, in dem Mattotaupa saß. Das war der Augenblick, in dem sich der Erfolg der Jagd entscheiden mußte. Der Indianer brach blitzschnell aus dem Gebüsch, um den Hirsch anzuspringen, aber das Tier hatte den Bruchteil einer Sekunde zu früh die Gefahr begriffen. Mit einem großen Satze schnellte es davon, auf die Wiese hinaus. Mattotaupa sprang hinter ihm her. Der frei lebende Indianer, dessen Beinmuskeln durch sattelloses Reiten, Laufen und die anstrengenden Kulttänze wie die eines Athleten ausgebildet waren, nahm es an Schnelligkeit auf kurzer Strecke sogar mit einem Mustang auf. Der Hirsch durchquerte die Wiese; nach wenigen Sprüngen begann der Indianer ihn einzuholen. In dem Moment, in dem das Tier etwas aufgehalten wurde, weil es jenseits der

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