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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zufrieden. Wie dieses Messer und die Pfeilspitze in den Schutt unten zwischen Fels und Wald geraten waren? Vielleicht hatte im Walde einmal eine Indianergruppe gelebt, das mochte sein. Der Winter ließ sich am besten im Schütze der Bäume überstehen. Im Winter mußten auch Mattotaupa und Harka ihren jetzigen Unterschlupf verlassen und tiefer hinabziehen. Aber bis dahin schien es noch lange Zeit. Jetzt war es milde und sonnig.
    Harka bemerkte, daß die Pferde unruhig wurden. Sie stemmten die Vorderhufe ein, als ob sie schlagen wollten, und drängten sich mit den Köpfen zusammen, wie es die Tiere einer angegriffenen Herde zu tun pflegen. Harka schaute, das Messer noch in der Hand haltend, aufmerksam um sich, und er lauschte gespannt. Schließlich stand er auf und schlich sich zu Quelle und Felspfad hinauf; er lief den Pfad bis zu dem Aussichtspunkt und spähte. Rings schien alles in tiefem Frieden zu liegen. Nur das Wasser klickerte leise. Hoch oben schwebte der Adler mit seinen weit gespannten Schwingen.
    Harka war unzufrieden, daß er den Grund für die Unruhe der Pferde nicht entdecken konnte. Die Tiere beruhigten sich etwas, blieben aber doch mißtrauisch. Was störte sie? Der Junge legte sich alle Sorten Waffen, die ihm nun schon zur Verfügung standen, griffbereit. Bogen und Pfeile, Speer, Büchse. Er lud die Büchse auf alle Fälle. Das Messer behielt er bei sich.
    Der Adler war abgezogen. Hatte er mit seinen scharfen Augen etwa auch eine Gefahr entdeckt? Der Junge wünschte seinen Vater herbei. Aber dieser kam sicher erst zur Nacht zurück, wenn er nicht sogar zwei oder drei Tage ausblieb.
    Da die Pferde wieder beruhigt zu weiden anfingen, beschäftigte sich Harka weiter. Er hatte Pfeile mit Steinspitzen und Pfeile mit Knochenspitzen; beim Schuß war das ein großer Unterschied, da die Spitzen verschieden schwer waren. Harka war mit Pfeilen zu schießen gewohnt, die eine Knochenspitze hatten. Daher wollte er sich jetzt auf das Schießen mit den Pfeilen mit Steinspitzen einüben. Er wählte sich im Wiesenboden eine bestimmte Stelle, die er treffen wollte, jenseits des kleinen Baches, am Nordhang. Während er selbst bei seiner Grube stehenblieb, schoß er hinüber und merkte wohl, daß es der Übung bedurfte, bis er seine neuen Pfeile richtig kennenlernte und mit ihnen umzugehen und zu treffen verstand. Sobald er alle verschossen hatte, sprang er hinüber, um sie sich wiederzuholen und von neuem zu beginnen. Auch der Bogen, den er jetzt hatte, war ihm ungewohnt. Die Sehne war noch sehr frisch und nicht so stark wie die Büffelsehne.
    Mit dieser Schießübung beschäftigte sich Harka einige Stunden. Dann ruhte er sich auf der Wiese neben seiner Grube aus und betrachtete die beiden Stangen des Hirschgeweihs. Sie waren noch nicht verwendet worden, Mattotaupa war sich wohl noch nicht schlüssig, was er daraus machen sollte.
    Harka griff zum Speer, der eine Knochenspitze erhalten hatte, und übte sich im Werfen mit der neuen Waffe. Es gelang ihm gleich, sie so gut zu handhaben, wie er es mit des Vaters Speeren daheim gelernt hatte, und er warf mehr aus Vergnügen weiter als aus Notwendigkeit des Trainings. Nach jedem Wurf mußte er sich die Waffe zurückholen, und so war er unaufhörlich in Bewegung. Schließlich bekam er Durst, trank oben an der Quelle, wo das Wasser am kältesten und frischsten schmeckte, und setzte sich dann wieder auf den Wiesenhang. Von neuem nahm er das Hirschgeweih zur Hand. Wenn der Vater zurückkehrte, wollte er ihm einen Vorschlag machen, wofür man es am zweckmäßigsten verwenden könne. Der Junge saß am Südhang neben der Grube, mit dem Gesicht zu dem über der Wiese ansteigenden Felsen, so daß ihm die Nachmittagssonne auf den Rücken schien.
    Die Pferde waren zur Quelle hinaufgelaufen. Harka hörte sie auf einmal stampfen und wollte aufspringen, um über die Felsrippe hinwegschauen zu können und zu sehen, was die Pferde wieder unruhig machte. Aber in demselben Augenblick rauschte es über oder hinter ihm wie ein Sturm; er hatte ein solches Rauschen noch nie gehört. Er war beim Aufstehen noch halb in den Knien, als ein Gewicht auf seinen Nacken und seine Schulter herabsauste, das ihn wieder niederdrückte. Ein heftiger Schmerz an Schultern und Kopf ließ ihn begreifen, in welcher Gefahr er sich befand. Der Adler war auf ihn herabgestoßen, hatte sich an seinen Schultern einkrallt und hackte mit seinem spitzen und starken Schnabel auf Harkas Kopf ein.
    Mit der Kraft des Schreckens

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