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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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schon seinen Dienst: die fast über Nacht entstandenen einstöckigen Häuser und die Notunterkünfte, das Schlachthaus, die Getreidespeicher am Stromufer, die Wasserleitung, die Gasthäuser und Schenken. Schiffspfeifen schrillten, Kähne knarrten an den Landungskais, Vieh brüllte, während es zum Schlachthof getrieben wurde. Die Straßen wimmelten von Menschen, Barbiere boten ihre Dienste in offenen Läden an, große und kleine Ladengeschäfte lockten zum Kauf und Tausch. Viele Sprachen waren zu hören, englisch, französisch, italienisch, deutsch, auch das Grenzeridiom, in dem sich die europäischen Sprachen mit indianischen Dialekten mischten. Viele Weiße, auch Schwarze und einige Rote schlenderten durch die Straßen, die keineswegs sauber waren. Händler mit Bauchläden priesen schreiend die Güte ihrer Ware an. Auf dem Schlachthof, in den Speichern und Mühlen am Hafenplatz, in den Gasthäusern und Unterkünften, in den Läden und Schenken, in den Banken und Wechselstuben arbeiteten Tausende und aber Tausende von Menschen, um so rasch wie möglich der Not zu entkommen und reich zu werden. Es hatte kaum einer Zeit, sich nach dem anderen umzusehen.
    Aber auf einmal wandelte das Gewimmel in der Hauptstraße seine Richtung und das Tempo. Hälse reckten sich, viele Menschen blieben stehen, Kinder zerrten ihre Mütter an den Röcken und wollten auf den Arm genommen werden, um weiter ausschauen zu können. Gäste und Kunden kamen aus den Gasthäusern und Geschäften an die Türen, horchten und blickten nach einer Richtung. In der Mitte der Straße bildete sich eine Gasse, die im Nu von dichten Spalieren gesäumt war. Die Menschen drängten und stießen sich schon. Lauter Trompetenschall erklang in regelmäßigen Abständen. Dazwischen verkündete eine Stimme etwas, was jetzt noch nicht zu verstehen war, aber bald darauf schon von allen verstanden wurde:
    »Der große, weltberühmte, einzigartige Zirkus mit seinen nie dagewesenen, einmaligen, einzigartigen, unübertrefflichen Darbietungen beehrt die bedeutende Stadt Omaha an den Ufern des Missouri mit seinem Besuch! Sogleich wird er sein Riesenzelt aufbauen, heute am Abend findet die Galavorstellung statt, die erste, einzige und unwiederholbare Vorstellung in dieser Stadt! Als größtes Unternehmen der Neuen Welt hat der Zirkus atemberaubende Sensationen zu bieten! Löwen, Tiger, Bären, Elefanten, Affen, Krokodile, Nashörner, Seehunde sind zu sehen! Der Kopf der Dame im Rachen des Löwen, der Tiger auf dem Pferd, der Affe im Spitzenkleid, der musizierende Elefant, der ballspielende Seehund! Cowboys und Indianer bieten nie dagewesene Meisterleistungen im Schießen, Reiten und Messerwerfen! Zu sehen ist der berühmte Überfall auf die Postkutsche. Großer Preis der kühnen Männer: Wer unter den Zuschauern vermag den wildesten Wildesel der Welt zu reiten, ohne herunterzufallen? Er erhält zehn Dollar! Ohne Abzug. Kunstreiterinnen tanzen auf Pferden, Drahtseilkünste ohnegleichen, ohne Netz! Trapez, Parterreakrobatik! Clowns, Clowns! Sie platzen vor Lachen!
    Ladies and gentlemen, das haben Sie noch nie gesehen, das werden Sie nie wiedersehen! Versäumen Sie nicht die einmalige Gelegenheit! Heute ist der Zirkus da, heute und nie wieder! Billigste Preise, billigste Preise! Sichern Sie sich die Karten im Vorverkauf! Schon stehen die Menschen zu Hunderten und Tausenden vor unserer Kasse! Eilen Sie, eilen Sie, versäumen Sie nicht die einmalige Sensation!«
    Wieder erklangen die Trompeten.
    Drei Elefanten führten den Zug und sorgten dafür, daß die Menschenmauern rechts und links die Gasse frei ließen. Auf den breiten Nacken der Elefanten saßen Jungen mit Turbanen auf dem Kopf und Stachelstekken in der Hand. Es folgten Pferde mit glänzendem Fell und glitzerndem Geschirr, auf dem Rücken des einen stand ein Mädchen im Ballettrock. Die Clowns saßen zu zweit auf einem Esel und riefen den Umstehenden ihre Spaße zu. Von fern, vom großen Zeltplatz her, erklang schon das Brüllen von Löwen und Tigern, das Gebrumm von Bären. Ein Käfig mit Krokodilen wurde im Zuge mitgezogen. Es folgten Kamele und Ponys, Artisten auf einem Wagen. Cowboys zu Pferd, mit silbernen Schnallen und großen Sporen, Flinten in der Hand, bildeten den Beschluß. Die Clowns warfen Süßigkeiten in die freudig erregte Menge, und die Kinder balgten sich darum. Der Erfolg der Abendvorstellung war bereits gesichert. Die dicke goldgelockte Dame an dem Kassenwagen verkaufte vorausschauend gleich die Karten

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