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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Parterreakrobaten. Harka verfolgte alle die gewandten Bewegungen genau. Zu klatschen hatte er nie gelernt, tat es auch nicht. Die Musik war ihm zu laut. Aber er freute sich auf die Nummern mit den Pferden, und er war sehr gespannt auf die Indianer und die Cowboys, die hier auftreten sollten. Daran dachte er noch mehr als an den bockenden Esel. Der Maler hatte ein Programm in der Hand, und zwischen zwei Nummern, als Teppich und Gerüste umgeräumt wurden, las er vor. Die Vorführung der Cowboys und Indianer hatte als eine Glanznummer der Galavorstellung ihren Platz gleich nach der großen Pause. Vor der Pause sollte die Sache mit dem Esel als eine Clown-Einlage vor sich gehen.
    Die Kunstreiterin zeigte ihr Können. Harka betrachtete das Mädchen sehr kritisch, denn vom Reiten verstand er etwas. Auf einem derart breiten Pferderücken und bei einem so gleichmäßig laufenden Tier war es natürlich nicht schwierig, sich auf die Zehen zu stellen oder sich auf einem Bein zu halten. Auf das Pferd springen konnte das Mädchen nur mit Hilfe eines kleinen Sprungbrettes. Ob sie das in der Prärie immer mit sich herumtragen wollte? Aber sie war ja auch nur ein Mädchen. Es lohnte sich daher nicht, weiter über sie nachzudenken.
    Viel erstaunlicher erschienen Harka die Freiheitsdressuren, obgleich sie weniger Beifall ernteten als die lächelnde Kunstreiterin. Auf einen Peitschenknall und einen kurzen Zuruf hin lief eine ganze Gruppe edler Pferde Figuren, kniete nieder, legte sich, stellte sich tot, erhob sich. Alles ohne Reiter! Das war eine Dressurleistung! Harka dachte darüber nach, was er seinem Grauschimmel noch beibringen wollte. Totstellen zum Beispiel konnte sehr nützlich sein.
    Mit einem Sondersignal der Trompete kam der Esel herein. Ein komisch bemalter Clown in weitem Gewand, auf dem Schädel einen winzigen Hut, an den Händen lange Handschuhe, saß als Reiter auf dem Eselsrücken, und zwar verkehrt herum, den Schwanz in den Händen. Allgemeines Gelächter empfing ihn.
    Der Clown machte eine beschwichtigende Handbewegung, als bitte er das Publikum, mit Lachen aufzuhören, und als er sich verständlich machen konnte, erzählte er, er habe den Eindruck, falsch zu sitzen, weil er den Kopf des Esels nicht finden könne. Aber vielleicht habe der Esel auch gar keinen Kopf, das möge ihm das verehrliche Publikum doch bitte sagen! Langspeer übersetzte Harka flüsternd, was der Clown vorgebracht hatte. Die Zuschauer machten den Spaß vollkommen naiv mit und schrien dem Clown zu, er müsse sich umdrehen.
    »Wie?« fragte der Clown und hielt die Hand hinter die Ohrmuschel, als höre er nicht gut.
    »Umdrehen!« brüllte das Zirkusrund im Chor.
    »Ah, ah so! Umdrehen!« Der Clown nickte ein paarmal vor sich hin. »Danke, danke! Das ist gut, umdrehen! Das werden wir gleich versuchen, gleich. Halt mal an, gutes Eseltier.« Der Esel blieb jedoch nicht stehen, sondern lief weiter rund in der Manege, auch an der Loge, in der Harka saß, vorbei. Der Clown schüttelte den Kopf, das Publikum kicherte.
    »Umdrehen«, sagte der Spaßmacher wieder, »also los, umdrehen!« Er schwang die Beine hoch, so daß er mit dem Rücken auf dem Esel lag und mit dem Kopf den Hals berührte, ohne jedoch den Schwanz loszulassen, dann wippte er wieder zurück. »So geht’s nicht! Was mach’ ich bloß!«
    »Umdrehen!« grölte das Publikum.
    »Ja, ja, umdrehen!« Der Clown beugte den Kopf jetzt vor die Brust, als wolle er einen Purzelbaum in Richtung des Eselsschwanzes schlagen, aber dabei fiel er herunter und landete in Sand und Sägespänen der Manege. Da saß er und sperrte den Mund auf. Der Esel blieb stehen, streckte den Kopf vor und schrie: »Iaaa!«
    »Richtig aufsitzen«, rief das Publikum, das guter Laune war. »Siehst du jetzt, wo der Esel seinen Kopf hat?«
    Der Clown erhob sich, rannte geschwind zu dem Esel und schwang sich auf wie ein erfahrener Rinderhirte. Aber der Esel stieg, und schon saß der komisch bekleidete Reiter wieder im Sand.
    »Dich soll doch! Verfluchtes Vieh! Na warte!« Er wiederholte den Versuch dreimal, immer mit dem gleichen Mißerfolg.
    Da wandte er sich von dem Grautier ab, machte eine verächtliche Gebärde und sprach: »Mit mir nicht, mein Lieber, mit mir machst du das nicht! Das kannst du mit einem anderen machen!«
    Der Clown verließ die Manege und wies noch einmal mit dem Finger auf die Stirn und dann auf den Esel, um zu bedeuten, daß dieser, nicht aber er selbst verrückt sei. Sobald der Clown verschwunden war,

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