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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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müssen nur noch ein paar Tage abwarten. Die Kasseneinnahmen heute sind von der Kreditbank bereits gepfändet. Die ist mir leider zuvorgekommen. Aber die Einnahmen morgen und übermorgen gehören mir. Dann habe ich mein Geld wieder heraus. Die Schufte haben mir doch noch keinen Penny zurückgezahlt seit vorigem Herbst. Aber nun habe ich den Pfändungsbefehl in der Hand, und sie sollen mir nicht mehr entgehen! Freut euch, alte Freunde, daß ihr morgen und übermorgen zum glücklichen Abschluß für mich arbeiten werdet. Und dann ­ heidi! ­ hinein in die Prärie, wo wir hingehören. Die Vorstellung heute muß natürlich großartig werden, unübertrefflich, damit wir morgen und übermorgen noch einmal ein volles Haus haben. Ich habe dem Herrn Direktor und Frank Ellis noch einige glänzende und energische Vorschläge dazu gemacht. Und nun gehabt euch wohl bis Montag!«
    Red Jim hatte es eilig. Er verschwand, ehe Mattotaupa und Harka viel hätten sagen können. Sie hatten aber auch nicht die Absicht gehabt. Als die beiden Indianer zu den Stallzelten gingen, um nach Pferden und Eseln zu sehen, fiel ihnen das hastige Treiben auf dem Gelände auf und auch wieder die Art und Weise, wie dieser mit jenem herumstand und tuschelte. Der Inspizient rannte mit neuen Plakaten umher, die unbedingt noch überall in der Stadt angeschlagen werden sollten. Harka stellte fest, was alles auf einem solchen Plakat versprochen wurde:
    »Sensation über Sensation! Mahatma, der weltberühmte indische Dompteur, tritt ungezähmten bengalischen Tigern mit nackter Brust entgegen!«
    So?
    »Harry, der Sohn Sitting Bulls, verrät die weiße Lady an den Marterpfahl! Einmalige Reiterkämpfe! Meisterschützen! Es wird scharf geschossen!«
    So.
    »Die Kinder des Lords. Eine heitere Gartenszene.«
    Wahrscheinlich zum Ausruhen vor Mord und Totschlag.
    In Harka stieg der Zorn auf. Er suchte den Dompteur, und er brauchte nicht lange zu fragen, denn dieser hatte auch schon wissen wollen, wo Harka zu finden sei. Die beiden trafen sich beim Löwenkäfig. Die Stallhelfer bauten den Laufkäfig für die Probe auf.
    Der Dompteur flog am ganzen Leibe. Er war nur in einen Ärmel des Bademantels geschlüpft, und dieser rutschte ihm von der Schulter. Er zerrte daran, riß den Ärmel dabei aus der Schulternaht, zog endlich den Mantel aus und warf ihn über den Absperrstrick, der vor den Käfigen gespannt war. Harka sah, daß der Mann sein Kettenhemd unter dem Trikot trug.
    »Ich probe heute scharf, verstehst du?« sagte er zu Harka. »Komm mit, ich will dich bei der Falltür am Laufkäfig haben. Du hast wenigstens Verstand genug zu merken,
    wann du sie unbedingt aufmachen mußt.« Harka schloß sich stillschweigend an, um diese Aufgabe zu übernehmen. Seine Nerven vibrierten auch.
    Die Nervosität der Menschen übertrug sich auf die Raubtiere. Sie waren unaufmerksam, widerwillig, aufsässig. Selbst der zahmste der Löwen machte Fehler, setzte sich auf einen falschen Hocker und knurrte, als er den Platz wechseln mußte. Die beiden Tiger schlichen umher und waren überhaupt nicht zu bewegen, ihre Plätze einzunehmen. Der Dompteur schrie sie nicht darum an, weil er sie bewußt reizen wollte, sondern weil er selbst gereizt war. Die Tiger fauchten, schlugen und bissen auf die Stange. Die Löwen waren sehr unruhig, wenn ihr Mißmut sich auch gedämpfter äußerte.
    »Gut, gut«, sagte eine Stimme neben Harka. Der Junge schaute auf. Der Inspizient Frank Ellis trat neben ihn. »Es kann noch etwas lebhafter gearbeitet werden!« Er blieb stehen.
    Der Dompteur hängte die Peitsche an den Gürtel und nahm die Pistole in die Hand. Er knallte. Die Tiere waren das bei einer Probe nicht gewöhnt. Sie hatten sich auf ihre Spielstunde gefreut und wurden ebenso rachsüchtig wie Menschen, denen die einzige Freude ihres Tages verdorben ist. Der männliche Tiger sprang den Dompteur überraschend an und schlug ihm mit der Pranke auf den Arm, der die Pistole hielt. Der Mann wankte, hielt sich aber noch auf den Füßen und brannte dem Tier eins über das Fell. Der Tiger fauchte kampfbereit.
    »Gut«, sagte Frank Ellis.
    Die Tigerin schlich hinter dem Dompteur herum. Sie bewegte leise das Schwanzende, das war das Zeichen, daß sie springen wollte. Der Dompteur durfte sich aber jetzt nicht umdrehen, er mußte den wütenden, fauchenden männlichen Tiger im Auge behalten.
    »Den Schlauch her!« sagte Harka zu dem Inspizienten. »Und die Tigra muß sofort hinaus.« Er griff nach der Falltür, um

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