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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Pflöcken und Stricken bereitzuhalten hätten, mit denen das mächtige Zelt befestigt war. Die Einheimischen, die Witterung und Wind am oberen Mississippi kannten, hatten in der Stadt Sturmwarnung verbreitet.
    Unterdessen erschienen in der Manege die Elefanten, die durch Masse und Kraft, gepaart mit Gutmütigkeit und Geschicklichkeit, und eben durch diesen Gegensatz wirkten. Keines der Tiere besaß mehr seine Stoßzähne. Ein Ansager gab bekannt, daß in der nächsten Pause »auf allgemeinen Wunsch« ein Kamelund Elefantenreiten für anwesende Kinder stattfinden werde. Karten seien bei der Tierschau-Kasse erhältlich. Douglas teilte seinem Vater durch einen einzigen eindeutigen Blick mit, daß er auf einem Elefanten reiten werde.
    »Für Mädchen schickt sich so etwas nicht«, sagte Tante Betty zu Cate. »Du würdest dich auch nur schmutzig machen.«
    Cate durfte nie widersprechen; älteren Personen zu widersprechen schickte sich sowenig wie ein Elefantenritt. Sie durfte nicht weinen, wenn die Leute es sahen. Weinen in der Öffentlichkeit schickte sich überhaupt nicht. So saß sie stumm auf ihrem Stuhl Nummer 2, hatte die Händchen in den Schoß gelegt, wie es sich gehörte, und erstickte fast an dem Kloß in ihrem Halse. Die Bären tanzten ohne Gitter, nur an der Kette geführt und mit verbundenem Maul; die Seehunde spielten Ball und balancierten diesen auf der Schnauze. Old Bob kam wieder herein und brachte selbst Cate zum Lachen. Er hatte in der Mitte der Manege sein Zimmer autgestellt: Tisch, Stuhl und einen hohen Schrank. Er spielte einen Gelehrten. Nachdenklich umherwandelnd, steckte er das große Taschentuch, das er benutzt hatte, nicht ein, sondern ließ es neben dem Schrank niederfallen. Auf einmal mußte er wieder niesen, suchte das Tuch und bat die Kinder, ihm zu sagen, wo er es verloren hätte. Von allen Seiten erhielt er Zurufe; auch in der Abendvorstellung waren nicht wenige Mädchen und Jungen unter den Zuschauern. Er legte wieder die Hand hinter die Ohrmuschel, begriff endlich, sagte: »Oh! Oh! So weit weg! Sehr schwierig!« und begann unter allgemeinem Gelächter an der einen Schmalseite des Schrankes mit einem Klimmzug hinaufzuklettern, um dann über den Schrank weg mit einem doppelten Salto wieder auf dem Boden, direkt bei dem Taschentuch zu landen.
    »Oh! Oh! Da ist es! Danke schön.«
    Die Zuschauer freuten sich und klatschten.
    »Warum denn einfach, wenn’s auch kompliziert geht!« sagte der Dirigent der Kapelle zu seinem ersten Geiger auf deutsch und lächelte. Die Kapelle bestand aus Hinterpfälzern, Kindern armer Leute, die sich seit Generationen ihr Geld durch Musizieren verdienten. Der nächste Walzer wurde gespielt.
    Als die Pause und damit für Cate wieder der kritische Moment kam, stand Samuel Smith auf, winkte dem kleinen Mädchen und nahm es an der Hand. »Laß den Jungen reiten«, sagte er, »das brauchst du dir gar nicht anzusehen. Es ist etwas für kleine Kinder, die noch nicht im Sattel gesessen haben. Siehst du, wie die Tragsessel angebracht werden? In so etwas würden sich die Kinder des Lords auch nicht hineinsetzen. Komm, wir gehen noch einmal zur Tierschau spazieren!«
    Er lächelte Tante Betty grüßend zu und verschwand mit seinem Töchterchen, dem einzigen auf der Welt, was er voll und ganz liebte. Cate war durchaus der Meinung des Vaters. Schade, daß Douglas die Worte nicht gehört hatte; er war schon zur Tierschau und Kasse unterwegs. Aber er konnte sich nicht das geringste darauf einbilden, daß er sich in einem Tragsessel an einen Elefanten anhängen ließ wie ein Henkelkörbchen an Tante Bettys Arm.
    Als Smith mit Cate das Zelt verlassen hatte, ging er nicht zur Tierschau-Kasse, an der sich die Jungen und Mädchen angestellt hatten, sondern blieb einen Moment stehen und sagte sehr ernst zu seiner Tochter: »Cate, ich habe etwas mit dir zu besprechen, und ich erwarte von dir, daß du dich verhältst wie ein großes Mädchen. Du weißt, daß beim Zirkus hier eine Nummer mit einer Indianertruppe angekündigt ist. Ich gebe nicht viel auf diese marktschreierischen Ankündigungen. Aber auf den Plakaten wird behauptet, daß die ganze Truppe aus SiouxDakota bestehe, und dem muß ich nachgehen. Wir müssen handeln wie Detektive, wir beide, und dürfen uns nicht die geringste Möglichkeit entgehen lassen, über das Schicksal deiner lieben Großmutter etwas zu erfahren.«
    Als Cate den Vater so sprechen hörte, fielen die verspielten Interessen von ihr ab, wie ein Cape

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