Der Weg ins Glueck
Kopf. In der Nacht wurde ein Freudenfeuer entfacht und der Kaiser sinnbildlich verbrannt. Die Jungen aus dem Fischerdorf zogen hinaus und brannten sämtliche Sanddünen nieder in einer gewaltigen Feuersbrunst, die sich über sieben Meilen erstreckte. Oben auf Ingleside lief Rilla lachend hinauf in ihr Zimmer.
»So, und jetzt mache ich etwas ganz Undamenhaftes und ganz Unverzeihliches«, sagte sie, während sie ihren grünen Samthut aus der Hutschachtel hervorzog. »Ich werde mit diesem Hut so lange Fußball spielen, bis er völlig deformiert und unbrauchbar ist; nie mehr im Leben setze ich so einen entsetzlich grünen Hut auf!«
»Du hast wirklich tapfer durchgehalten mit ihm«, sagte Miss Oliver und lachte.
»Das hat mit Mut nichts zu tun, das war reine Hartnäckigkeit, und ich schäme mich richtig dafür«, sagte Rilla und verpasste dem Hut einen genüsslichen Fußtritt. »Ich wollte es Mutter zeigen. Aber es ist gemein, es seiner Mutter zeigen zu wollen. Was für ein respektloses Benehmen! Immerhin - ich habe es ihr gezeigt. Und mir selbst habe ich auch einiges bewiesen. Ach, Miss Oliver, wie jung ich mich im Augenblick fühle, jung und leichtsinnig und albern. Habe ich je behauptet, der November sei ein hässlicher Monat? Ach was, er ist der schönste Monat im ganzen Jahr! Hören Sie nur die Glocken, die im Regenbogental läuten! Noch nie habe ich sie so deutlich gehört! Sie läuten den Frieden ein - und neues Glück -und all die geliebten, süßen, normalen Dinge, die wir jetzt wieder haben können, Miss Oliver! Dabei will ich nicht behaupten, ich wäre im Augenblick normal. Die ganze Welt spielt wohl heute etwas verrückt. Bald werden wir wieder zur Vernunft kommen und »die Treue haltern und anfangen unsere neue Welt aufzubauen. Aber heute wollen wir einfach verrückt und ausgelassen sein!«
Susan kam aus der Sonne herein und machte ein äußerst zufriedenes Gesicht. »Mr Hyde ist weg«, verkündete sie.
»Weg? Soll das heißen, er ist tot, Susan?«
»Nein, liebe Frau Doktor, tot ist dieses Biest nicht. Aber Sie werden es nie wieder zu Gesicht kriegen, da bin ich ganz sicher.«
»Nun mach es nicht so spannend, Susan. Was ist mit ihm passiert?«
»Das war so, liebe Frau Doktor: Er saß heute Nachmittag draußen auf der Hoftreppe. Das war kurz nachdem die Nachricht vom Waffenstillstand kam und er war mal wieder durch und durch Mr Hyde. Ein Furcht erregendes Ungeheuer, das kann ich Ihnen sagen! Plötzlich kam Bruce Meredith um die Ecke gebogen, und zwar auf Stelzen. Er hat vor kurzem gelernt auf Stelzen zu gehen, und wollte mir zeigen, wie gut er das schon kann. Mr Hyde brauchte nur einmal hinzusehen, schon fegte er mit einem Satz über den Hofzaun hinweg. Dann jagte er wie der Blitz mit angelegten Ohren durchs Ahornwäldchen davon. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie der erschrocken ist, liebe Frau Doktor. Und er ist nicht mehr zurückgekommen.«
»Ach, der kommt bestimmt wieder, Susan, und der Schreck hat ihn womöglich geläutert.«
»Wir werden sehen, liebe Frau Doktor, wir werden sehen. Denken Sie daran: Der Waffenstillstand ist unterzeichnet. Und das erinnert mich daran, dass Mondgesicht-mit-Schnauzbart gestern Abend einen Schlaganfall erlitten hat. Ich will ja nicht sagen, das sei die gerechte Strafe Gottes, weil mir darüber kein Urteil zusteht, aber man kann sich ja seine eigenen Gedanken machen. Weder von Mondgesicht-mit-Schnauzbart noch von Mr Hyde wird man je wieder etwas hören in Gien St. Mary, liebe Frau Doktor, darauf können Sie sich verlassen.«
Von Mr Hyde hörte man tatsächlich nichts mehr. Der Schreck konnte es wohl kaum gewesen sein, warum er sich nicht mehr blicken ließ. Die Ingleside-Bewohner folgerten daraus, dass ihn wohl irgendein finsteres Schicksal in Form einer Gewehrkugel oder von Gift ereilt haben müsse. Susan allerdings glaubte und versicherte immer wieder, dass er bloß »auf seinen Platz« gegangen sei. Rilla trauerte um ihn, denn sie hatte sehr an ihrem würdevollen goldenen Katerchen gehangen, und sie hatte ihn als unheimlichen Mr Hyde genauso gern gehabt wie als zahmen Dr. Jekyll.
»So, und jetzt, liebe Frau Doktor«, sagte Susan, »jetzt, wo der herbstliche Hausputz erledigt und das Gartengemüse sicher im Keller verstaut ist, werde ich zur Feier des Friedens in Flitterwochen gehen.«
»In Flitterwochen?«
»Ja, liebe Frau Doktor, in Flitterwochen«, wiederholte Susan unmissverständlich. »Einen Ehemann werde ich wohl nie ergattern, aber ich möchte
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