Der Weg Nach Tanelorn
»tötete Adaz Prompt und noch ein paar. Shenegar Trott habt ebenfalls Ihr in den Tod geschickt, noch vor der Schlacht von Londra, damals in Dnark, vor dem Runenstab. Und die anderen – Mikosevaar, Nankenseen und der Rest – sie, sind alle tot. Taragorm starb in der Explosion der Wunderwaffe, und Kalan beging Selbstmord. Wer könnte denn da noch übrig sein?«
Falkenmond zog die Brauen zusammen. »Ich könnte mir nur vorstellen, dass vielleicht Taragorm und Kalan am Leben blieben. Sie sind die einzigen beiden, deren Tod niemand sah.«
»Aber die Explosion von Kalans Kampfmaschine konnte niemand überlebt haben – und Taragorm hätte sie doch höchstpersönlich bedient!«
»Ihr habt recht.« Falkenmond lächelte. »Es ist dumm, die Zeit an solche Überlegungen zu vergeuden. Es gibt Besseres zu tun.«
Und wieder wandte er seine Aufmerksamkeit den Festlichkeiten des Tages zu.
Doch am Abend, das hatte er sich vorgenommen, würde er zu der Ruine reiten und jenen stellen, der sich Graf Brass nannte.
4. Ein Trupp von Toten
Und so ritt Dorian Falkenmond, Herzog von Köln, Lordhüter der Kamarg, bei Sonnenuntergang über die gewundenen Wege tief hinein in die Marschen. Er sah zu den über den Sümpfen kreisenden, scharlachroten Flamingos auf, blickte bewundernd auf die Herden weißer Stiere und gehörnter Pferde in der Ferne, die wie eilige Rauchschwaden durch das Grün und Braun des Schilfes huschten. Wie immer schien die untergehende Sonne die friedlichen Lagunen in blutgefüllte Teiche zu verwandeln. Schließlich, während der Mistral ihm die würzige Luft in die Nase blies, kam Falkenmond zu dem niedrigen Hügel, auf dem die uralte Ruine stand – eine Ruine, die völlig von Efeu umrankt war. Und dort stieg er mit den letzten Strahlen der Sonne vom Pferd und wartete auf den Geist.
Der Wind zupfte an seinem Umhang. Er peitschte gegen sein Gesicht, dass die Lippen vor Kälte blau anliefen. Er kräuselte das Fell seines Pferdes wie Wasser in einem Weiher. Er pfiff heulend über das weite, flache Marschland. Und als die Geschöpfe des Tages sich zur Ruhe begaben, und noch ehe die der Nacht sich auf die Jagd machten, senkte sich eine schreckliche Stille über die Kamarg herab.
Selbst der Wind erstarb. Nicht länger raschelte das Rohr. Nichts regte sich mehr.
Und Falkenmond wartete.
Viel später erst hörte er gedämpften Hufschlag auf dem feuchten Marschboden. Er griff an seine linke Hüfte und lockerte das Breitschwert in seiner Hülle. Auch er trug jetzt eine Rüstung – einen stählernen Panzer, der für ihn nach Maß gemacht war und sich seinem Körper genau anpasste. Er wischte sich die Haare aus der Stirn und drehte seinen Helm ein wenig, der so einfach und ohne Zierrat wie der von Graf Brass war. Nun warf er seinen Umhang über die Schultern zurück, damit er ihn nicht in seiner Bewegungsfreiheit behindern würde.
Doch die Hufe, die er in der Ferne vernommen hatte, stammten von mehr als einem Pferd. Falkenmond lauschte angespannt. Es war heller Vollmond, doch die Reiter näherten sich von der anderen Seite der Ruine, so dass er sie nicht sehen konnte. Er zählte – dem Hufschlag nach waren es mindestens vier Rosse. Da brachte dieser falsche Graf demnach Verstärkung. Es war also eine Falle! Falkenmond suchte Deckung, doch die konnte er nur in der Ruine selbst finden. Vorsichtig kletterte er über die alten brüchigen Steine, bis er sicher sein konnte, der Sicht aller verborgen zu sein, die, gleich von welcher Seite, den Hügel hochkamen. Nur sein Pferd verriet seine Anwesenheit.
Die Reiter waren nun schon ganz nahe. Er konnte ihre Silhouetten deutlich sehen. In stolzer Haltung ritten sie. Wer sie wohl sein mochten?
Der Mond fiel auf glänzendes Messing. So wusste Falkenmond zumindest, dass einer von ihnen der falsche Graf war. Aber die drei anderen trugen unauffällige Kleidung. Sie hatten jetzt den Kamm erreicht und sahen sein Pferd.
Er hörte laut und klar Graf Brass’ Stimme:
»Herzog von Köln?«
Falkenmond antwortete nicht.
Eine andere Stimme erklang, eine träge, matte Stimme. »Vielleicht zog er sich aus einem bestimmten Grund in die Ruine zurück?«
Falkenmond erkannte auch diese Stimme – und es war ein großer Schock für ihn, denn sie gehörte Huillam d’Averc, der auf so ironische Weise in Londra gestorben war.
Jetzt sah er eine Gestalt näher kommen, mit einem Taschentuch gegen die Lippen gepresst. Ja, auch das Gesicht war ihm vertraut, es gehörte tatsächlich d’Averc.
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