Der Weg Nach Tanelorn
Und da wusste Falkenmond voll Schrecken im Herzen auch, wer die beiden anderen Reiter waren.
»Wir warten auf ihn. Er sagte doch, dass er hierherkommen würde, Graf Brass?« Zweifellos war es Bowgentle, der fragte.
»Ja, das sagte er.«
»Dann hoffe ich, er lässt sich nicht zuviel Zeit. Der Wind beißt selbst durch meinen dicken Pelz.« Das konnte nur Oladahn sein!
Für Falkenmond war das der schlimmste Alptraum, den er sich nur vorstellen konnte, ob er nun schlief oder wach war. Denn gab es etwas Furchtbareres, als Geister zu sehen und zu hören, die sich genauso benahmen und genauso aussahen wie seine besten Freunde, die er vor fünf Jahren verloren hatte? Falkenmond hätte sein Leben gegeben, wenn es sie zurückbringen könnte, aber er wusste, dass das unmöglich war. Keine Medizin, kein Mittel konnte einen wiederauferstehen lassen, der wie Oladahn von den Bulgarbergen in Stücke gehackt worden war und dessen einzelne Teile in alle Winde verstreut wurden. Aber an dieser Erscheinung war nicht die geringste Wunde zu sehen, genauso wenig wie an den anderen.
»Ich werde mir sicher eine Erkältung zuziehen – und vielleicht ein zweites Mal sterben.« Typisch d’Averc, der immer um seine angeblich angegriffene Gesundheit besorgt gewesen war, obgleich er tatsächlich von robuster Natur war.
Konnten diese vier wahrhaftig Geister sein?
»Ich frage mich, was uns zusammengeführt hat«, murmelte Bowgentle jetzt, doch laut genug, dass Falkenmond es verstehen konnte. »Und in einer so düsteren, sonnenlosen Welt noch dazu. Begegneten wir uns nicht bereits einmal, Graf Brass – in Rouen? Am Hof Hanails des Weißen, wenn ich mich nicht irre.«
»Ich glaube, Ihr habt recht.«
»Nach dem, was wir gehört haben, ist dieser Herzog von Köln im Blutvergießen noch schlimmer als Hanal. Das einzige, was wir vier gemeinsam haben, ist offenbar, dass wir durch seine Hand sterben werden, wenn wir ihn jetzt nicht töten. Und doch finde ich es schwer zu glauben …«
»Falkenmond vermutete, dass wir Opfer eines Komplotts sind, wie ich bereits erwähnte«, warf Graf Brass ein. »Es könnte stimmen.«
»Opfer sind wir ganz sicher!« D’Averc hob das seidene Spitzentuch an die Nase. »Aber ich stimme mit Euch überein, dass es angebracht ist, uns erst mit unserem Mörder zu unterhalten, ehe wir ihn töten. Was wäre, wenn, wir ihm das Leben nehmen, und es geschähe doch nichts – wir müssten in diesem grauenvollen düsteren Ort für alle Ewigkeit verweilen. Und auch noch mit ihm als Gefährten, denn er wird dann ebenfalls tot sein.«
»Wie fandet Ihr den Tod?« erkundigte sich Oladahn.
»Auf nicht sehr angenehme Weise, durch eine Mischung aus Unersättlichkeit und Eifersucht. Unersättlich war ich, eifersüchtig ein anderer.«
»Ihr macht uns neugierig.« Bowgentle lachte.
»Eine meiner Geliebten war zufällig mit einem anderen verheiratet. Sie war eine einmalige Köchin – ihr Repertoire an Gerichten war unvorstellbar. Sie war unübertrefflich, meine Freunde, sowohl am Herd als auch im Bett. Nun, ich brachte eine Woche bei ihr zu, während ihr Gatte sich am Hof aufhielt – das war in Hannoveranien, wo ich damals geschäftlich zu tun hatte. Es war eine wundervolle Woche, aber auch sie musste zu Ende gehen, denn ihr Gatte wurde des Nachts zurückerwartet. Um mich zu trösten, kochte meine Geliebte ein Traummahl. Sie hatte sich selbst damit übertroffen. Es gab Schnecken und Suppen und Ragouts und kleine Vögel in delikaten Soßen, und Souffles –, oh, verzeiht … Nun, jedenfalls, es war ein Mahl, wie es besser nicht sein konnte. Ich aß mehr, als für meine zarte Gesundheit zuträglich war, und flehte meine Geliebte an, mir doch noch eine Stunde ihre Gunst im Bett zu beweisen, da ihr Gatte ja nicht vor zwei Uhr zurückzuerwarten war. Wir krönten das herrliche Mahl mit leidenschaftlicher Ekstase. Dann schliefen wir ein. Wir schliefen so tief, dass wir erst erwachten, als ihr Gatte uns wachrüttelte!«
»Und da brachte er Euch um?« fragte Oladahn.
»Nun, auf gewisse Weise. Ich sprang hoch. Ich hatte keine Klinge. Ich hatte auch keinen Grund, ihn zu töten, denn schließlich war ja er der Betrogene (und ich habe einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn). Also, ich sprang hoch und hinaus zum Fenster und rannte, was meine Beine mich trugen. Ich war im Adamskostüm. Und es regnete. Neun Kilometer hatte ich bis zu meinem Quartier. Nun, dabei holte ich mir eine Lungenentzündung.«
Oladahn lachte. Seine Fröhlichkeit
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