Der Weg Nach Tanelorn
beschuldigst, Czernik. Sprich!«
Die Aufmerksamkeit aller hing nun an Falkenmond und dem Alten. Es herrschte eine unglaubliche Stille. Yisselda zupfte an dem Umhang, den ihr Mann über der Rüstung trug. »Hör nicht auf ihn, Dorian. Er ist betrunken. Er ist wahnsinnig!«
»Ich warte!« rief Falkenmond und blickte auf den plötzlich so schweigsamen Czernik.
Der Alte kratzte den Kopf unter dem schütteren grauen Haar. Er starrte in die Menge und murmelte etwas.
»Sprich deutlicher!« befahl Falkenmond. »Ich bin neugierig, was du zu sagen hast.«
»Ich nannte Euch einen Mörder! Und das seid Ihr auch!«
»Wer sagt, dass ich ein Mörder bin?«
Wieder war Czerniks Gemurmel nicht zu verstehen.
»Wer sagt das?«
»Der, den Ihr ermordet habt!« brüllte der Alte jetzt. »Der, den Ihr verraten habt!«
»Ein Toter? Wen habe ich verraten?«
»Den, den wir alle lieben! Dem ich durch hundert Provinzen folgte. Der, der mir zweimal das Leben rettete. Der, dem ich, ob tot oder lebendig, nie die Treue versagen würde.«
Yisselda flüsterte kopfschüttelnd: »Er kann niemand anderen als meinen Vater meinen …«
»Sprichst du von Graf Brass?« fragte Falkenmond.
»Von wem sonst?« rief Czernik herausfordernd. »Graf Brass, der vor vielen Jahren in die Kamarg kam und sie aus der Tyrannei befreite. Der gegen das Dunkle Imperium kämpfte und die ganze Welt gerettet hat! Seine Taten sind wohlbekannt. Was jedoch niemand wusste, ist, dass er in Londra von dem verraten wurde, der nicht nur nach seiner Tochter trachtete, sondern auch nach seiner Burg. Und um beides zu bekommen, tötete er ihn!«
»Du lügst«, sagte Falkenmond ruhig. »Wenn du jünger wärst, Czernik, würde ich verlangen, dass du mit dem Schwert für deine ehrenrührigen Worte einstehst. Wie kannst du nur solche Lügen glauben?«
»Viele glauben es, und es sind keine Lügen!« Czernik deutete auf die Menge. »Viele haben gehört, was ich hörte.«
»Wo hast du es denn gehört?« fragte nun Yisselda, die sich neben ihren Mann an die Brüstung gestellt hatte.
»Im Marschland vor der Stadt. Des Nachts. So manche, die wie ich von einer anderen Stadt heimeilten, hörten es ebenfalls.«
»Und aus wessen lügnerischem Mund?« Falkenmond zitterte jetzt vor Grimm. Er und Graf Brass hatten Seite an Seite gefochten, jeder war bereit gewesen, sein Leben für den anderen zu geben. Und jetzt erzählte man eine solch schreckliche Lüge – eine Lüge, die eine Beleidigung für Graf Brass’ Andenken war. Und deshalb war der Grimm in Falkenmond aufgestiegen.
»Aus seinem eigenen! Aus Graf Brass’ Mund.«
»Betrunkener Narr! Graf Brass ist tot. Das weißt doch auch du!«
»Das wohl – aber sein Geist ist in die Kamarg heimgekehrt. Er reitet auf seinem großen Schlachtross in seiner Rüstung aus glänzendem Messing. Und sein Haar und sein Schnurrbart sind so rot wie Messing, und seine Augen leuchten wie Messing. Er ist dort draußen, verräterischer Falkenmond, in den Marschen. Er ist hinter Euch her. Und jenen, denen er begegnet, erzählt er, wie Ihr ihn im Stich gelassen habt, als seine Feinde ihn bedrängten, wie Ihr ihn in Londra habt sterben lassen.«
»Das ist eine Lüge!« schrie Yisselda. »Ich war ebenfalls dort. Ich kämpfte mit ihm in Londra. Nichts hätte meinen Vater retten können.«
»Und«, fuhr Czernik mit lauter, jetzt etwas ruhigerer Stimme fort, »ich hörte von Graf Brass, wie Ihr Euch mit Eurem Liebsten zusammentatet, um ihn zu betrügen.«
»Oh!« Yisselda presste die Hände an die Ohren. »Wie gemein! Wie niederträchtig!«
»Schweig jetzt, Czernik!« warnte Falkenmond mit dumpfer Stimme. »Halte deine Zunge im Zaum, denn du gehst zu weit.«
»Er wartet in den Marschen und wird eines Nachts Rache an Euch nehmen, wenn Ihr es wagen solltet, die Mauern Aigues-Mortes’ zu verlassen. Und jeder Geist ist noch viel mehr ein Held, mehr ein Mann als Ihr. Verräter! Ja, ein Verräter, das seid Ihr! Erst dientet Ihr Köln, dann dem Imperium, dann wurdet Ihr ihm abtrünnig, bis Ihr ihm wieder im Komplott gegen Graf Brass beistandet, um es gleich darauf erneut zu verraten. Eure Geschichte allein ist Beweis genug, dass ich die Wahrheit spreche. Ich bin nicht vom Wahnsinn besessen, und betrunken bin ich auch nicht. Ich bin nicht der einzige, der gesehen und gehört hat, was ich sah und hörte.«
»Dann wurdest du betrogen«, sagte Yisselda fest.
»Ihr seid es, die betrogen wurde, Meine Lady!« knurrte Czernik.
Da kamen die Ordnungshüter herbei, und
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