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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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hatte, mit dem Hinweis, es handle sich
eigentlich um die Zutaten von Tristans Zaubertrank, und die Verbindung mit
halbgarem Fleisch verstärke noch die Wirkung.
    Zwei Flaschen Bordeaux aus
meinem Depot hatte ich schon entkorkt, ein guter, aber kein sehr guter Jahrgang
— ich wollte Solides kredenzen, aber nicht protzen.
    Das Äußere mußte stimmen. Am
Vormittag hatte ich meinen einzigen Maßanzug aus der Reinigung geholt, einen
edelgrauen Leibumschmeichler, verfertigt von einem Schneider in der Regent
Street, bestellt in einem dieser aus Verzweiflung und Übermut amalgamierten
Seelenzustände, die sich außerhalb Wiens gelegentlich meiner bemächtigen.
Angewidert von der Größenbeschränkung der Stangenware selbst in der von mir
favorisierten Einkaufsstraße, hatte ich letzten Sommer Zuflucht in seinem Laden
gesucht. »Cover my belly« hatte ich ihm gesagt, er hatte mich lange von oben
bis unten gemustert, war in einem Nebenraum verschwunden und mit einem
beachtlichen Sortiment an Miedern zurückgekehrt. »No«, hatte ich heiser
erwidert, belustigt, gedemütigt, »no, not like that.« Wir konnten beide nicht
lachen, aber der Anzug, den ich mir eine Woche später abholen durfte, hat uns beinahe
zu Freunden gemacht.
    Heute kommt Anna, war die
Überschrift über jeder meiner Handlungen. Selbst die Wahl meiner Unterhose
geriet mir zu einem absurden Zeremoniell vor dem Spiegel: die, nein die, oder
doch die? Ich führte mich auf, als würde irgend jemand sie noch sehen an diesem
Abend. Als würde ich eine gleichaltrige, gleich häßliche Frau empfangen, eine,
die mir zuvor schon Avancen gemacht hätte, und nicht ein junges Liebespaar.
    Wie lange schon keine Frau mehr
in dieser Wohnung war. Sie wird das merken, dachte ich, das ist nicht gut.
Frauen mögen keine unterbeschäftigten Männer, es stößt sie ab und beengt sie,
sie fühlen sich gleich mit der grandiosen Wichtigkeit der Erlöserin beladen, es
nimmt ihnen die Luft.
    Was für ein Unsinn, unterbrach
ich mich, was weißt du schon über Frauen. Angelesenes Zeug.
Zahnarztwartezimmerliteratur. Eitle Sentenzen, von den oft oder öfter Erhörten
am Wirtshaustisch lautstark vorgetragen oder halbgutgemeint dir ins Ohr
geraunt. Jaja, die Erfahrung macht einen weiser. Du wirst es schon noch lernen,
Alexander. Solltest es mal versuchen, Alex. Und friß nicht soviel, weil nämlich
Frauen, das sag ich dir aus Erfahrung, mögen keine — Es läutete.
    Ich öffnete die Tür, draußen
stand Martin, allein, mit einem Grinsen in der Visage und einer Flasche
Supermarktwein in der Hand, »guten Abend, Herr Professor, Anna läßt sich
entschuldigen, ich hoffe, Sie nehmen mit mir vorlieb, darf ich reinkommen?«
    Mach dich nicht verrückt,
Alter, beherrsch dich, Schluß mit dem Selbstmitleid, Schluß mit den panischen
Tagtraumattacken. Ich rannte ins Badezimmer, tauchte einen Waschlappen ins
kalte Wasser, wischte mir über die Augen, kindisch, unvernünftig, als wären die
Augen der Sitz der Träume.
    Es läutete ein zweites Mal.
    Einmal noch durch die Haare
gekämmt, den Kragen justiert und die Fliege zurechtgerückt — war sie farblich
schlecht gewählt? machte sie mich blaß? Oder war sie zu bunt, zu anbiedernd an
den Geschmack der Gäste, und sie durchschauten sofort meine Absicht? He, Anna,
siehst du, was ich sehe? Einen Mann, zu alt, zu aufgeweicht, zu verloren, um
uns ebenbürtig zu sein, einen Mann mit bordeauxroten Vögeln auf seiner Fliege,
deren Grundfarbe wiederum exakt zum Anzug paßt, einen Mann, unfreiwillig
komisch in seiner äußeren Erscheinung, mit seiner gesuchten, vergeblichen
Keckheit über all der vergeblich gesuchten Eleganz, einen Biedermann-Anzug-Mann
mit Brandstifter-Fliege, einen, der mehr sein möchte, als er sein kann. Zum
Lachen. »Entschuldigen Sie, wir wollten nicht unhöflich sein, aber wir haben Sie
noch nie so gesehen« — zwei Youngsters in Jeans und T-Shirt, peinlich berührt
und doch verschworen amüsiert, mit einem Gelächter hinter der Hand, einem
Prusten in der Nase, zurückgehalten zwischen Daumen und Zeigefinger wie
seinerzeit im Beichtstuhl, vorbereitet auf höflich hingeschmierte belegte
Brote, dargeboten in salopper Kleidung, und nun konfrontiert mit Bratenduft,
Kerzenlicht und mir in meinem verlogen-verlegenen Schönseinwollen; ein
überraschender Spaß, eine unerwartete Würze für etwas, das eigentlich als
Pflichtbesuch geplant war, als Karrieredinner für Martin mit Anna im
opportunistischen Schlepptau, paß auf, Schätzchen, geh

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