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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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mit, der alte Sack steht
auf dich, das nützen wir aus —
    Ein drittes Mal läutete es.
Zeit für die Realität. Ich öffnete die Tür.
    »Hallo«, sagte Anna. Martin
stand hinter ihr, bescheiden, ein leises »Grüßgott«.
    Er hatte sich in ein Sakko
gequält, dessen Ärmel um die berühmte Spur zu kurz waren. Herausgewachsen, wie
es heißt. Maturaanzugsjacke. Die Stoffhose war im Gegensatz dazu tadellos,
geradezu elegant. Altmodisch breit, aber von erlesenem Material die Krawatte,
vielleicht von Väterchen ausgeborgt, darunter ein Seidenhemd, gute Qualität,
mausfarben, zu seinen Augen passend. Martin, von Kopf bis Fuß eine
halbgelungene Devotionalie an mich, seinen Meister.
    Anna, fast weigere ich mich, es
zu berichten, zu sehr klingt es nach Traumprotokoll, trug ein knielanges rotes
Kleid mit einem Ausschnitt, der mich trotz seiner Dezenz beinahe in eine
Ohnmacht schickte; knapp um den Hals gewunden glänzte ein Collier-Imitat,
mehrere dicht gedrängte Reihen granatroter Glassteine.
    »Wir haben lange nach einem
Geschenk für Sie gesucht«, sie trat einen Schritt näher, herein über die
Zugbrücke in meine Festung, schwebte mit cherubischer Nonchalance über die
Krokodile im Burggraben hinweg, »hoffentlich haben Sie’s noch nicht.«
    Als ich endlich in der Lage
war, das Buch anzuschauen, war ich, gelinde gesagt, überrascht. Es war ein
Bildband, der, wenn man der auffällig ums Buch gewundenen Banderole trauen
mochte, Fenster in den Kosmos auf stieß: eine Hochglanzdokumentation jener
Fotos, die das Weltraumteleskop Hubble von wahrscheinlich ziemlich weit
entfernten Galaxien aufgenommen hatte.
    Ein aufwendig gedeckter Tisch,
weißes Tischtuch, silberner Kerzenständer — Anna ließ ihren Blick schweifen,
und was sie sah, entlockte ihr ein Lächeln.
    »Siehst du«, sagte sie zu
Martin, »ich hab’s dir gesagt«, und zu mir gewandt, »wir hatten nämlich einen
kleinen Streit. Martin meinte, wir wären overdressed.«
    Sie sprach dieses Wort, das
mich aus dem Mund einer anderen Person sofort skeptisch hätte werden lassen,
mit einer Selbstverständlichkeit aus, die mich dazu verleitete, es charmant zu
finden. Aber in meiner rettungslosen Hingabe an diesen fremden Menschen hätte
ich es sogar charmant gefunden, wenn sie wie Wilma Feuerstein geredet oder die
Bundeshymne gesungen hätte. Mein erster Impuls war, ihr auf gleicher Ebene zu
begegnen. Moi, der Anpaßler. Der Einschmeichler. »Sie sind mir in jedem Outfit
willkommen.« Angestrengt versuchte ich, beide zu meinen. »Glaub ich nicht«,
sagte Anna und küßte ihren Martin auf die Nase.
    Als Aperitif gab es
zwölfjährigen Portwein, Choice Tawny, aus den Kellern von Messias. Martin
leerte sein Glas in einem Zug, fuhr sich mit dem Finger in den Kragen, sagte
»darf ich?«, öffnete den obersten Knopf, schob den Krawattenknoten nach unten,
atmete durch. »Schmeckt toll. Ich habe immer geglaubt, Portwein sei süß und
fad.«
    »Kommt ganz aufs Alter an.« Ich
traute meinen Ohren nicht, aber Anna lachte. Sie hatte sich noch nicht
hingesetzt, stand hinter meinem Rücken und musterte meine Plattensammlung.
Meine Weigerung, CDs zu kaufen, mein Festhalten am Analogen, kam mir angesichts
dieser jungen Menschen in meiner Wohnung spießig vor, altbacken, entlarvend.
Als wäre mein Plattenschrank unter einer Staubschicht begraben, von Spinnweben
überwuchert. Schnell schenkte ich Martin nach, drehte mich zu Anna um, die
Flasche in der Hand, »darf ich Ihnen auch ein Glas...« Aber Anna achtete nicht
auf mich, zog eine Platte aus dem Schrank, ging zum Plattenspieler, von dem ich
seines Alters wegen gedacht hatte, kein Mensch unter Vierzig könne ihn
bedienen, und legte Schönbergs Verklärte Nacht auf. »Ich hoffe, Sie
haben nichts dagegen.« Sie nahm mir die hingestreckte Flasche aus der Hand und
bediente sich. »Ist zwar ein bißchen traurig, aber schön.« Auf meiner Oberlippe
bildeten sich Schweißtröpfchen. Die für ein paar Sekunden aufflackernde
Verzückung wich einer Angst, der ich keinen Namen geben konnte. Zum zweiten Mal
erlebte ich diese Frau als eine auf unerklärliche Weise mit meiner Umgebung
vertraute Person — »waren Sie schon einmal hier«, war ich versucht, sie zu
fragen — , nur mit dem Unterschied, daß diesmal ihre Selbstverständlichkeit,
ihr Wissen um die Ordnung und das Funktionieren der Gegenstände um mich herum
mir nicht wie ein Indiz einer Seelenverwandtschaft, sondern eher wie eine
Botschaft aus dem Jenseits vorkam. Früher, in der

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