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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Strophen des Ancient
Mariner, im März des folgenden Jahres ist die Ballade vollendet. Und fünf
weitere Gedichte, darunter zwei der schönsten »Conversation Poems«, Frost at
Midnight und Fears in Solitude. Anfang April beginnt eine
Schlangengestalt durch seine Träume zu geistern, Coleridge transponiert ihre
Erscheinung in verstörende Bilder und betörende Rhythmen. Bereits im Sommer ist
der erste Teil von Christabel abgeschlossen.
    Nicht minder verwunderlich als
die Geschwindigkeit, mit der Coleridge diese hochkomplexen Klang- und
Bildorgien gestaltete, erschien mir die Geschichte ihrer Publikation. Noch nie
war es so sehr sein Wunsch gewesen, sich als Dichter einen Namen zu machen,
noch nie war die Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, so nahe gewesen. Und doch: Kubla Khan und Christabel erschienen erst achtzehn Jahre später,
in der Sammlung Sibylline Leaves. Den Ancient Mariner veröffentlichte er zwar schon 1798, allerdings nicht unter seinem Namen,
sondern als anonymen Beitrag zu den legendär gewordenen Lyrical Ballads seines Kollegen William Wordsworth.
    Die Begründungen für diesen
Umstand, sowohl seine eigenen als auch die seiner Interpreten, konnten mich nie
ganz überzeugen. Etwas blieb mir unerklärlich an dieser Verweigerung. »Für eine
große Anzahl von Personen stinkt mein Name«, pflegte er in Anspielung auf seine
radikale Vergangenheit zu sagen, und tatsächlich hatte die Zusammenrottung von
unorthodoxen Intellektuellen in Somerset die Regierung sogar dazu veranlaßt,
einen Spitzel an ihre Fersen zu heften. »A mischievous Gang of disaffected
Englishmen« nannte dieser die Wordsworths, Coleridge und Thelwall in seinem
Bericht; er hatte ein Gespräch über Spinoza mißverstanden, was ihm später bei
den Bespitzelten den wenig schmeichelhaften Spottnamen »Spy Nozy« eintrug. Aber
selbst wenn man geneigt wäre, aufgrund dieser Vorgänge der Anonymität des Ancient
Mariner eine gewisse Sinnhaftigkeit einzuräumen, so konnte doch nichts
davon das fast zwei Jahrzehnte lange Zurückhalten der beiden anderen großen
Visionen verständlich machen.
    Der Frühling und der Sommer 98
waren gekennzeichnet von literarischem Furor, hochfliegenden Plänen für
Deutschland und immer ausgedehnteren Ausflügen. Nur noch selten hielt es
Coleridge länger als eine Woche in Stowey. Daran konnte auch die Geburt des
zweiten Sohnes Berkeley im Mai nichts ändern.
    Erst als er an Deck des
Schiffes stand, das ihn, William und Dorothy nach Cuxhaven bringen sollte, am
16. September 98, wurde Coleridge die Trennung schmerzlich bewußt. »Meine
geliebten Kinder kamen über mich wie ein Blitzschlag«, schrieb er an Poole,
»ich sah ihre Gesichter so deutlich!« So stand er über die Reling gelehnt,
während der Hafen von Yarmouth langsam aus seinem Blickfeld verschwand — der
unbekannte Schöpfer der Ballade vom Alten Seemann fand sich zum ersten
Mal in seinem Leben auf offener See. Ein eisiger Herbstwind fuhr ihm in den
Kragen. Mit dem Sommer in den Quantocks endete auch das »annus mirabilis«.
    Und unter Deck kotzten sich die
Geschwister Wordsworth die Galle aus dem Leib.

Vierzehn Den ganzen Nachmittag fegte ich durch die Wohnung, bewaffnet erst mit meinem
Klopfsauger, dann mit einem Staubtuch, schließlich mit Putzlappen und Kübel.
Alles sollte glänzen für sie; der in ihrem Kopf möglicherweise vorhandenen
Vorstellung eines lebensuntüchtigen, schlampigen Einzelgängers durfte ich, auch
wenn es der Realität beschämend nahekam, um keinen Preis entsprechen. In der
Küche werkte ich mit einer Akribie, als wäre ihre Gunst oder Abneigung einzig
mit dem Gelingen oder Mißraten des Essens verknüpft. Wenn es ihr schmeckt, wird
sie mich lieben, wenn nicht, für immer verstoßen. »Ein Bissen von meinem Filet
Wellington, und sie wird mir verfallen«, verkündete ich lautstark der
Nachbarskatze, die wieder zum Betteln vorbeigekommen war und mir in diesem
Augenblick mit ihrem feuerroten Fell und den grünen Augen wie ein verwunschenes
Kind meiner künftigen Gäste erschien. Ich fertigte sie mit Trockenfutter ab und
verjagte sie, als sie noch am letzten Bissen kaute. Katzen suchten immer meine
Nähe, wahrscheinlich sahen sie in mir einen Seelenverwandten, jemanden, den die
gleichen Dinge beglücken konnten. Aber heute war keine Zeit für
Streichelfirlefanz. Die Rinderfilets bestrich ich außen mit einer famosen Paste
aus Kalbsleber und Malzwhiskey, ein altes Rezept aus Cornwall, das mir
Vorjahren ein Kollege verraten

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