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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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ich mit weit geöffneten Augen,
an deren Lidern der Irrsinn zärtlich knabberte, endlich erkennen — es war nur
ein Schlafzimmer wie tausend andere.
    Brauchte dringend eine Diät;
vor allem für den Geist.
    Oben gab es nur mein Gästezimmer
und die versperrte Rumpelkammer: also wieder Fehlanzeige. Gut, dachte ich, soll
mir die vierte Dose Guinness ein Schlaflied singen, morgen blamier ich mich
noch in Porlock, und dann ab zum Bristol Airport.
    Um in das Ritual des
Schafezählens in schlaflosen Nächten künftig größere Vielfalt einfließen zu
lassen, prägte ich mir ein paar besonders bizarre Exemplare der Schafe
Britanniens ein. Konnte auch dem fünften Guinness nicht widerstehen, zog den
Metallring von der Dose, und mitten im Zischen erinnerte ich mich, wie mir
Daniel, Hüter alles morbiden Wissens, einmal gezeigt hatte, wie man aus solchen
Verschlüssen Dietriche bastelt. Schon leicht sediert machte ich mich ans Werk,
hämmerte mit der Taschenlampe die Aluteile zurecht, bog sie in die erinnerte
Form und schlich mich auf den Gang, um das Schloß der Rumpelkammer zu knacken.
    Jeder Student der
Einbruchslehre, selbst im ersten Semester, wäre wohl zu Boden gegangen vor
Lachen. Das Ding blieb einfach im Schlüsselloch stecken und ließ sich nicht
mehr bewegen. Blaubarts Zimmer gab seine Geheimnisse nicht preis. Müde und
selbstverdrossen stützte ich mich kurz auf die Klinke, vernahm ein spöttisches
Quietschen — und die Tür ging auf. Henderson mußte sie aufgeschlossen haben,
aber warum? Oder sie hatte bei der ersten Begutachtung nur geklemmt.
    Ich mußte die Taschenlampe
nicht anknipsen. Im Kamin brannte ein Feuer.
    Ein Sessel. Ein Bett, ein Tisch
voller Papiere, der Widerschein des Feuers an der Decke.
    Links der Schreibtisch, die Manuskripte,
die Feder, das Tintenfaß, ein aufgeschlagenes Buch. Ein Sessel, dem Fenster
zugewandt. Das Bett in der Mitte des Zimmers, an der rechten Wand der Kamin.
    Der Boden schwankte unter mir,
die Konturen des Fensterrahmens verschwammen. Eines konnte ich noch sehen,
bevor meine Knie nachgaben: Der Grundriß des Zimmers war ein Trapez, mit der
Fensterwand als Grundlinie.
    Dann tauchte ich ein in ein
schwarzes Meer.
     
    Ein forsches Tätscheln gegen
meine Wangen weckte mich auf.
    Über mir ein Gesicht: eingefallene
Wangen, rot geschminkte Lippen.
    »Geraldine!« schrie ich.
    »Maud«, sagte die Frau, »Maud
Henderson. Sie sollten weniger trinken.«
    Ihr Gesicht war tatsächlich ein
wenig eingefallen, eine graue Strähne fiel ihr über die Stirn. Der Lippenstift
war eher orange als rot.
    Ich hatte wieder nur geträumt.
Wie tröstlich. Wie ärgerlich. »Was machen Sie«, fragte Maud, »in unserer
Rumpelkammer?«
    Mühsam richtete ich meinen
Oberkörper auf und versuchte, mich zu orientieren. Ich lag auf dem Boden der
Kammer, zwischen dem Bett und dem Kamin. Links über meinem Kopf sah ich eine
Schreibfeder aus der Tischplatte ragen, ein Segel am Horizont. Ein Funken aus
dem Kamin hatte ein kleines Loch in meine Hose gebrannt.
    Ich berührte einen der
Bettpfosten: Holz, keine Fata Morgana.
    Es gab das Zimmer also
wirklich. Und ich hatte es gefunden.
    »Sind Sie stumm oder
schwerhörig?« fragte Maud freundlich.
    Ich mußte die Fassung bewahren,
so schwer es mir fiel. Und Maud von der Redlichkeit meines Handelns überzeugen.
»Weder noch«, sagte ich. »War wohl ein kleiner Kollaps. Mein Kreislauf ist
nicht in Ordnung.«
    Maud wartete mit verschränkten
Armen. Diese Erklärung war ihr entschieden zu dünn.
    Ich rappelte mich vom Boden
hoch, klopfte die Asche von der Hose und reichte ihr die Hand. »Alexander Markowitsch«,
sagte ich möglichst feierlich, »verzeihen Sie bitte meine Neugier. Ich schreibe
für eine Wiener Zeitung über die englische Romantik. Und in Ihrer Rumpelkammer
ist eines der größten Gedichte der Weltliteratur entstanden.«
    Mauds Fingerkuppen lagen auf
meinem Handrücken, Saugnäpfe eines Lügendetektors. Sie musterte nicht ohne
Mitgefühl meine derangierte Erscheinung. Für einen Dieb hielt sie mich
offensichtlich nicht. Für geistig gesund aber auch nicht.
    »Scott hat was erzählt«, sagte
sie und entzog mir ihre Hand. »Ich persönlich hab nichts gegen Spinner. Aber
jetzt gehen Sie besser schlafen.«
    »Ja«, sagte ich, »da haben Sie
wohl recht. Ich hoffe, ich darf noch ein paar Tage in Ihrem komfortablen
Gästezimmer bleiben.«
    »Reden wir beim Frühstück
weiter«, sagte Maud, drehte mir den Rücken zu und trat hinaus auf den Gang. Ein
paar Stunden

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