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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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ich nach Hause komme.«
    Und wenige Zeilen später, als
hätte er schon die irritierte Reaktion des Freundes gehört und müßte ihm durch
Wiederholung verdeutlichen, wie ernst es ihm ist: »mein lieber Poole! Laß
Hartley nicht sterben, bevor ich heimkomme.« Trotzdem setzt Coleridge alles
daran, so lange wie möglich in Göttingen bleiben zu können. Selbst Wordsworth’
Besuch und seine dringenden Appelle können ihn nicht zur Heimkehr bewegen. Nach
Stowey schickt er nur ein Gedicht — ein erbärmliches noch dazu.
    Sarah rächt sich auf ihre Art
und berichtet Coleridge ausführlich und nicht ohne süffisante Untertöne von der
miserablen Aufnahme der Lyrical Ballads bei der Kritik.
    Im Juni ist Coleridges Zeit in
Göttingen endgültig abgelaufen. Er findet seinem Gönner Wedgwood gegenüber
keine Argumente mehr für eine weitere Verlängerung; das Jahresbudget ist weit
überzogen: Brandy, Wein und Opium sind teuer in Deutschland. Und Materialien
sind genug gesammelt, in drei großen Kisten werden die Bücher und Manuskripte
nach Yarmouth verschifft.
    Coleridge unterbricht die
Heimreise, wo es nur geht. Er besucht Freunde im Harz, Carlyon und Greenough,
englische Studenten; zum zweiten Mal besteigen sie gemeinsam den Brocken,
Coleridge peitscht sie trotz seiner geschwollenen Füße den Hexenberg hinauf,
als erwarte er, dort die Lösung seiner Probleme zu finden. Nur nicht nach
Hause, so keucht er sich zum Gipfel hoch, Schritt für Schritt,
nur-nicht-nach-Hause.
    Nie wieder zurück an den Ort
der Schuld.
    Erst Ende Juli steht er vor der
Tür des Lime Street Cottage. Ein Wunder ist geschehen: Hartley ist nicht tot.
Der Gesundheitszustand seines Vaters verschlechtert sich trotzdem binnen
weniger Tage.
    Zwei Wochen später flieht Sarah
zu den Southeys nach Minehead.

Zwanzig Nach einer ruhigen Nacht mit erquickend belanglosen Träumen — mein Bankbeamter
war mir erschienen: die Taxifahrt von East Quantoxheas nach Lynton hatte ein Vermögen
gekostet — frühstückte ich ausdauernd, bis die Kellner begannen, den
Mittagstisch zu decken. Einem Befehl meines Magens folgend, blieb ich gleich
sitzen und bestellte eine ernährungstechnisch fein austarierte Speisenfolge.
Ein Fehler ist es, den Lunch geringzuschätzen, sagte schon Tennyson. Oder war
es Henry James?
    Erwischte gerade noch den
Nachmittagsbus nach Minehead, Red Bus No. 300.
    Auf halber Strecke zwischen
County Gate und Porlock stieg ich aus, von dort führte ein Weg hinunter nach
Porlock Weir. Meine Karte war erster Güte, jede Scheune war eingezeichnet — und
so entdeckte ich schon nach ein paar hundert Yards, daß ich richtig unterwegs
war. Ash Farm und Yarner Farm, stand auf einem Schild mit Richtungspfeil, Bed
and Breakfast.
    Unter Pinien wanderte ich
dahin, die Sonne versengte mir den Nacken, Grillen schrien mir ins Ohr. Eine
mediterrane Zone mitten im feuchten Somerset.
    Ein verwittertes Hinweisschild
tauchte auf: würde man den Seitenpfad nach Osten nehmen, quer durch den Wald,
so fände man dort eine frühmittelalterliche Kultstätte: ein einzelner Stein,
entdeckt 1940, wahrscheinlich aus dem neunten Jahrhundert stammend. Es folgten
unnötige Hinweise auf die Großzügigkeit des Grundbesitzers, der diesen Pfad der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe, obwohl sich der Stein auf seinem
Privatbesitz befinde, die Begehung erfolge allerdings auf eigene Gefahr, usw.
    Gut, dachte ich, Neugier ist
die Mutter aller Entdeckungen, mach ich eben einen Abstecher.
    Mühte mich durchs Unterholz,
der Rucksack blieb alle zwei Meter an Zweigen hängen, eine dornige Gerte
verpaßte mir einen Schlag auf die rechte Wange, Neugier ist eben auch die
Mutter aller Niederlagen. Trotzig kämpfte ich mich weiter voran, bis ich auf
einer kleinen Lichtung vor dem Felsbrocken stand. Das war also die groß
avisierte Kultstätte. Das einzig Auffällige an dem Ding — außer, daß es eben,
wie es Menhire gern tun, senkrecht in der Erde steckte — war ein eingemeißeltes
Zeichen, ein Kreuz in einem Rad. Und ein gewaltiger entwurzelter Baum direkt
daneben, von einer zornigen Riesenfaust aus dem Erdreich gerissen und dann
achtlos liegengelassen.
    Holte mir auf dem Rückweg noch
ein paar Kratzer ab und schwor, derartige Hinweisschilder künftig zu
ignorieren. Zurück auf dem Weg zu den Farmen, wurde ich von Fliegenschwärmen
umschwirrt, als wäre ich ein wandelnder Haufen Dung. Über meinem Kopf kreiste
ein Bussardpärchen — und Coleridges traurige Selbstdefinition spukte

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