Der Weg nach Xanadu
geheimnisvollsten
Kultstätten der vorchristlichen Ära in Britannien gewesen war. Der
allerheiligste Tempel einer Gottheit, die ein wahrer Triumphzug von Irland über
Wales nach Südengland geführt hatte. Im Culbone Combe fanden sich erste Spuren
der alten Religion schon um 2000 v. Chr., darunter die Grabstätte unter dem
Hügel: die letzte Ruhestätte geopferter Könige. Der Stein mit dem Radkreuz war
deutlich älter als bisher angenommen. Neuste Forschungen — 1990 hatte man
erstmals eine C-14-Analyse durchgeführt — datierten seine Errichtung auf etwa
15 00 v. Chr. Daß die verlängerte Achse des Kreuzes als Wegweiser gedient
hatte, war unbestritten; wie alt die Stufen waren, über die ich meinen Stein
gekickt hatte, drei oder dreitausend Jahre, darüber ließen mich selbst Jills
Materialien im ungewissen.
Die andere Gottheit war eine
Frau. Sie trug, je nach Zeit und Region, unterschiedliche Namen. Ursprünglich
hieß sie Dana; später, ab etwa 1000 v. Chr. war ihr Name in Irland Morrigain
oder Morgane, in Wales Modron.
In Kitnor hieß sie Cerridwen.
Ihr Name war zusammengesetzt
aus den Wörtern »cerdd« und »wen«. Das erste stand für die Dichtkunst, das
zweite bedeutete »weiß«.
Sie war die weiße Göttin, greater
than Jehovah, oberste Instanz einer matriarchalen Religion, und ihr Gestirn
war der Mond. Sie trat in drei Gestalten auf; jeder war ein Erscheinungsbild
des Mondes und eine Farbe zugeordnet: als weißer Sichelmond verkörperte sie
Geburt und Wachstum; als roter aufgehender oder untergehender Vollmond Liebe
und Erfüllung; als schwarzer Neumond die Macht über Leben und Tod. An ihrer
Seite stand kein ebenbürtiger Gott, sondern ein Heros-König, ein Sterblicher,
der sich nach einer Initiation, meist einem Wettkampf mit Rivalen, als würdig
erwiesen hatte, ihr Gemahl zu sein. Für ein Jahr. Dann schickte ihn die Göttin
in die Unterwelt.
Man vermutete, daß in frühen
Entwicklungsstufen des Kultes tatsächlich jeden Herbst ein junger Mann geopfert
wurde. Geschmückt mit diversen Attributen seines Gestirns, der Sonne, wurde ihm
von einer Priesterin der Göttin mit einer Sichel die Kehle durchgeschnitten.
Erst später wurde der Sonnenheros nur mehr symbolisch geopfert; an seiner
Stelle verblutete auf dem Altar ein Schafs- oder Ziegenbock.
Gemahl der Göttin zu werden
versprach nicht nur weltliche Macht und erotische Freuden; der Jahreskönig
durfte auch von jenem magischen Trank kosten, der Weisheit und Erleuchtung
verlieh und auf dem Herd der weißen Göttin in einem Gefäß vor sich hin
köchelte, das mehr als alles andere das Insignium ihrer Macht darstellte: der
Kessel der Inspiration. Verglichen mit der christlichen Dreifaltigkeit schien
mir jene der Göttin geradezu einleuchtend. Ob der Mond nun als Sichel, als
Kreis oder unsichtbar am Himmel stand, es war doch immer der gleiche Mond.
Legte man die drei Gesichter der Göttin wie Folien übereinander, erhielt man
ein Phantombild von Geraldine oder Life-in-Death: jugendlich, erwachsen und
vergreist. Der weibliche Khan meines Traums. Granatäpfel waren ein Symbol des
roten Vollmonds, das purpurne Welt-Ei in homöopathischer Dosis. Weiße Jagdhunde
mit roten Ohren begleiteten die Sichel-Göttin auf der Jagd; Krähenschwärme
verkündeten die Ankunft der Todes-Greisin.
Das las ich jetzt, aber ich
hatte es nicht gewußt, als ich träumte.
Wollte man nicht C.G. Jungs
angestaubte Archetypen-Theorie bemühen, war die einzige halbwegs rationale
Erklärung, daß ich —
Ach, es half nichts, mir fiel
keine ein.
Kurz nach dem Eintreffen der
Missionare war der heidnische Ort dem Erdboden gleichgemacht und an seiner
Stelle eine Kirche errichtet worden: Kil Beune, die Kirche des heiligen
Beuno.
Doch die weiße Göttin
verschwand nicht ganz aus ihrem angestammten Territorium: die christlichen
Baumeister errichteten ihr später auf dem Pilaster des Sandsteinfensters ein
Denkmal — paradoxerweise, um sie für immer von diesem Ort fernzuhalten.
Es gelang ihnen nur teilweise.
Selbst als die Priester von Culbone längst nicht mehr wußten, was das Gesicht
auf dem Nordfenster zu bedeuten hatte, wurden seinetwegen noch immer
Pilgerreisen unternommen. Allerdings nicht von Gläubigen, sondern von den
fahrenden Dichtern aus Irland und Wales, die sich von der Göttin poetische
Erleuchtung erhofften.
Einer von ihnen, ein
walisischer derwydd, war der unbekannte Autor der Romance of
Taliesin. Über die älteste Schicht der Romanze gab es
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