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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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ihm die Gabe der dichterischen Schau für ein
magisches Jahr. Allerdings nicht ohne ihn zu warnen, wenn auch etwas kryptisch:
Sollte er während des Jahres »drüben auf dem frostigen Hügelrain« wandern, so
würde er ohne Gnade der Greisin der Hölle geopfert werden.
    Thomas von Erceldoune war ein
Dichter des frühen dreizehnten Jahrhunderts und schwor, der Königin von Elphame
oder Elfenland tatsächlich begegnet zu sein, als er gerade an der Huntline Bank
ein wenig döste. Nur durch die Liebesnächte mit ihr sei sein dichterisches
Talent erwacht; mißbrauchte er es, so würde sie ihn auf der Stelle töten. Sie
sei der Tod, aber sie gewähre den Opfern, die sie durch ihren Liebeszauber
verführe, poetische Unsterblichkeit.
    Noch immer keine Theorie, nur
ein paar Fragen:
    Was, wenn die weißen Frauen in
den Gedichten, vorsichtig formuliert, nicht nur reine Phantasiegebilde wären?
    Wenn Coleridge seine Visionen
tatsächlich gesehen hätte, nicht erfunden oder geträumt? Die
Entstehungsgeschichte von Kubla Khan nur ein Hinweis wäre, eine versteckte
Botschaft? »... all the images rose up before him as things...« Wenn
Kitnor, die »Höhle am Meer«, eine Art Durchgang wäre in eine andere Zone, measureless
to man ?
    Alph, der heilige Fluß.
    Alphito, der Beiname der Göttin.
    Alphos , der weiße Aussatz, die Lepra.
     
    Zu allem Überdruß quälten mich
jetzt auch noch Geräusche in den Ohren. Ein schmerzhaftes Zischen und Sausen;
es klang, als würde Xerxes in meinem Gehörgang das Meer auspeitschen lassen.
     
    Die verrückte These mußte wohl
raus, dann war sie wenigstens nicht mehr in meinem Kopf.
    Er war hier, er war ihr
leibhaftig begegnet, einem verlockenden Dämon aus Fleisch und Blut, und sie
hatte ihn vor die Wahl gestellt: entweder weiterzuleben wie bisher, als
durchaus begabter, aber keinesfalls außergewöhnlicher Verse-Drechsler — oder
ein Jahr lang der großen Visionen teilhaftig werden zu dürfen, allerdings um
den Preis der totalen Eklipse danach. Ein Jahr im Paradies gegen die Hölle der
Einfallslosigkeit für den Rest seines Lebens. War das der Pakt? Dann doch
lieber das Fegefeuer der gehobenen Durchschnittlichkeit, oder nicht?
     
    Teilhaftig werden zu dürfen,
was für ein Ausdruck.
    Lieber namenloser Kater, ich
schmeiß dich jetzt raus. Brauche dringend Schlaf.

Sechsundzwanzig Warum es mich heute noch einmal zur Culbone Church gezogen hatte, kann ich
nicht mit Bestimmtheit sagen. Nach dem Lunch ging ich in den Hof; eine Wolke
schob sich gerade über das Dach der Ash Farm, ein weißer Teufelsrochen, der die
Sonne verdunkelte. Meine Beine marschierten einfach los.
    Vielleicht war es das vage
Gefühl, etwas übersehen zu haben. Irgendein Beweisstück, aber was sollte das
sein? Ein Teufelspakt, geschrieben auf ein Stück Pergament, versteckt in einer
Mauernische, von Coleridge mit Blut unterzeichnet? Unsinn. Die Kirche glänzte
in der Nachmittagssonne, als hätte sie sich für meinen Besuch frisch
herausgeputzt. Zog anerkennend meinen unsichtbaren Hut vor ihr und spazierte
zur Nordwand hinüber, um mir das Steingesicht noch einmal anzusehen.
    Aus den Augenwinkeln nahm ich
eine Bewegung wahr. War hier noch jemand? Ich drehte mich um — und erstarrte.
    Was ich sah, konnte nicht sein.
     
    »Ich sehe, du hast mich
gefunden, Alexander.« Anna, her skin as white as leprosy.
    Ich bewegte meine Lippen, aber
ich brachte keinen Ton heraus.
    »Du weißt, daß du jetzt die
Wahl hast.«
    »Ich weiß nur«, sagte ich
endlich, »daß du nicht hier sein kannst. Ich spreche mit einem
Phantasiegebilde. Ich habe zuviel an dich gedacht.«
    Anna hustete ihr Lachen, legte
mir die linke Hand auf die Schulter. Die Berührung war deutlich zu spüren. »So
lange«, sagte sie, »hast du nach mir gesucht. Jetzt bin ich da.«
    »Coleridge? — «
    Sie nickte.
    »Warum«, fragte ich, »mußte
Berkeley sterben?«
    »Sein Vater hat den Pakt
gebrochen.«
    »Wodurch?«
    »Er hat den Ancient Mariner veröffentlicht. Der Welt verraten, was er gesehen hat. Aus Eitelkeit. Noch vor
Ablauf der Frist.«
    »Ist ja auch eine lange Frist«,
sagte ich, »achtzehn Jahre.« Das Gespenst lächelte und zog es vor, zu
schweigen.
    »Was ist mit Martin?« fragte
ich.
    »Ein Helfer. Von denen gibt es
viele. Eingeweiht, aber nicht auserwählt.«
    »Warum ich?«
    »Warum nicht du?«
    Ich hielt mir die Hand vor die
Augen, biß mir eine kleine Wunde in den Arm und zog die Hand wieder weg.
    Das Gespenst war noch immer da.
    »Geraldine?« sagte

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