Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
verkauft, um die ausufernden Anwaltskosten der zweiten Scheidung bezahlen zu können. Über Mittelsmänner kaufte er es weit unter Wert von ihr zurück. Als der Verkauf abgeschlossen war, organisierte er noch am gleichen Tag eine regelrechte Zwangsräumungsparty einschließlich eines Polizeiaufgebots, das seine völlig fassungslose Exfrau vom Grundstück eskortierte.
Heute befand er sich in üblerer Stimmung als sonst. Geschäftliche Verpflichtungen machten seine Anwesenheit bei einer für ihn wenig interessanten Konferenz in Boston nötig, und dann musste er auch noch wegen einer kleineren Krise im Personalmanagement einen Tag früher als geplant zurückkehren. Zwar war es ärgerlich, sich um eine Situation kümmern zu müssen, die seine Untergebenen in der Firma auch gut ohne ihn hätten regeln können, aber immerhin lieferte ihm das eine gute Entschuldigung, von den nur mit Mühe erträglichen Seminaren in Boston zu jener ebenfalls schwer erträglichen Routine zurückzukehren, die ihm vertrauter war.
Aber etwas hatte sich verändert. Was als leises Unbehagen begonnen hatte, war zu einer bewussten Stimme geworden. Seit ein paar Wochen war Tony von dem nagenden Gefühl befallen, verfolgt zu werden. Zunächst tat er das als letztlich unerhebliches Stresssymptom ab, als Einbildungen seines überarbeiteten Verstandes. Doch der Gedanke fiel in ihm auf fruchtbaren Boden. Ein Samenkorn, das durch vernünftige Überlegungen schnell hätte weggewaschen werden können, schlug Wurzeln, die sich schon bald als nervöse Hyperwachsamkeit zeigten, und so wurde Tonys ohnehin schon ständig angespanntem Geist noch mehr Energie entzogen.
Er bemerkte Details, die für sich genommen kaum Anlass zur Besorgnis boten. Doch insgesamt gesehen wurden sie in Tonys Bewusstsein zu einem warnenden Chor. Da war der schwarze Geländewagen, der auf der Fahrt in die Firma manchmal hinter ihm fuhr. Da waren der Tankstellenmitarbeiter, der für Minuten vergaß, ihm seine Kreditkarte zurückzugeben, und der Sicherheitsdienst, der ihn über drei Stromausfälle in seinem Privathaus informierte, von denen nur sein Anwesen und keines der Nachbarhäuser betroffen gewesen war. Diese Stromausfälle hatten jeweils genau zweiundzwanzig Minuten gedauert und waren an drei Tagen hintereinander immer zur gleichen Uhrzeit erfolgt. Tony fing an, scheinbar banalen Unregelmäßigkeiten in seinem Alltag mehr Aufmerksamkeit zu schenken, und achtete sogar darauf, wie andere Leute ihn ansahen – die Bedienung bei Stumptown Coffee, der Wachmann am Eingang auf der ersten Etage und sogar die Büroangestellten in der Firma. Er registrierte, wie sie seinem Blick auswichen, wenn er in ihre Richtung schaute, und wie sie rasch ihre Körpersprache änderten, um vorzutäuschen, dass sie beschäftigt waren und ihn gar nicht bemerkten.
Die Reaktionen dieser sehr verschiedenen Leute waren beunruhigend ähnlich, als bestünde zwischen ihnen eine geheime Absprache. Sie teilten ein Geheimnis, in das er nicht eingeweiht war. Je mehr er hinsah, desto mehr fiel ihm auf und umso mehr schaute er hin. Er war immer schon ein wenig paranoid gewesen, aber nun eskalierte diese Neigung so weit, dass er hinter allem und jedem eine Verschwörung gegen sich vermutete. So lebte er in ständiger Sorge und Anspannung.
Neben seiner eigentlichen Wirkungsstätte, strategisch günstig in der mittleren Etage eines mittelgroßen Bürohochhauses im Stadtzentrum von Portland gelegen, besaß Tony ein kleines privates Büro, komplett mit Schlafzimmer, Küche und Bad. Die Adresse war noch nicht einmal seinem persönlichen Anwalt bekannt. Das war sein Refugium. Es lag unten am Fluss, nicht weit vom Macadam Boulevard. Dorthin zog er sich zurück, wenn er einfach mal für ein paar Stunden oder eine ganze Nacht verschwinden und für niemanden erreichbar sein wollte.
Das Gebäude, in dem sein Geheimquartier lag, hatte er über eine Briefkastenfirma erworben. Er ließ einen Teil des Kellergeschosses umbauen und modernste Überwachungs- und Sicherheitstechnologie installieren. Die Handwerker, die die Arbeiten ausführten, waren über die Briefkastenfirma beauftragt worden, sodass er anonym blieb. Und außer ihnen hatte nie jemand die Räume zu Gesicht bekommen. Sogar in den Bauplänen und -genehmigungen tauchten sie nicht auf, was durch gut platzierte Zuwendungen an die zuständigen Dezernate der Stadtverwaltung erreicht worden war. Wurde an etwas, das wie ein verrosteter Telefonschaltkasten in einem unbenutzten
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