Der Weg zur Hölle
schon sanft am Arm gepackt und zur Tür hinaus komplimentiert. Die Frau namens Schilling, die das bewerkstelligt hatte, steckte noch einmal den Kopf herein, sagte zu Wedelbeck: »Springer nach C7, Schach« und ging hinaus.
Wedelbeck nahm ein teuer wirkendes Smartphone aus der Tasche, öffnete eine Schachsimulation und trug den Zug ein. Dann blickte er entgeistert drauf, sagte »Scheiße«, steckte das Gerät zurück in die Manteltasche und trat zu Reemund.
»Die Sache scheint soweit klar zu sein. Finden Sie nicht?«
»Nein, find ich nicht. Mein Gott bin ich besoffen.«
»Vielleicht ist es besser, wenn ich heute für Sie übernehme. Ich bin schon wieder halbwegs fit.«
Reemund überging das und wandte sich an jemanden von der Spurensicherung.
»Müsste hier nicht mehr Blut sein?«
»Stimmt«, antwortete einer der Leute. »Garnichts. Wenigstens kein frisches. Hier drin hat niemand den Kopf abgesägt gekriegt.«
»Abgesägt?«
»Ja, davon gehen wir aus. Natürlich unter Vorbehalt. Der Arzt sagte sowas.«
Reemund schüttelte den Kopf.
»Anfänger!«
Wedelbeck fragte ihn, was er damit meine. Ich weiß nicht, ob Reemund antwortete, denn in diesem Moment begann ein Mann in wilder Panik zu schreien. Ich erschrak schon wieder. Was war das heute für ein Abend? Außer mir schien niemand das Geschrei hören zu können, was mich nur noch mehr beunruhigte. Alle Lebenden gingen weiter ihrer Arbeit nach, den Gesprächen und dem Kaffee schlürfen, als ob nichts wäre. Mir zog sich alles zusammen, bis ich mich zu einer winzigen Kugel zurechtgeschrumpft hatte. Das ist eine stabile Form und wir erlangen dadurch die Fähigkeit, unsere Umgebung aus allen Richtungen zugleich wahrzunehmen. Das erwies sich jedoch als ein grober Fehler, denn nun kam es mir so vor, als käme das Geschrei aus allen Richtungen gleichzeitig. Ich schoss durch die Gegend, flog im Zickzack durch die Wohnung, zu den Nachbarn und dann aus dem Haus, bis ich mich nach ein paar Minuten endlich wieder beruhigt hatte. Jeder hat da seine eigenen Methoden.
Das Gebrüll kam eindeutig aus der Wohnung. Ich flog vorsichtig zurück, überwand meinen Ekel und begann, alle Räume nach der Ursache des Gebrülls zu durchsuchen. Nun, schwer zu finden war sie nicht. Ich verfluchte mich selbst für meine grenzenlose Dummheit. Was hatte ich denn erwartet? Wenn ich zwei Mordermittlern zum Fundort einer Leiche folge, muss das ja zwangsläufig passieren! Vor mir, mitten in der Badewanne, das Gesicht zur Wand gedreht, stand der Geist von Eduard Koss und brüllte wie am Spieß.
* * *
KAPITEL 2 - TRAUMATA
TRAUMA: (Plural: Traumata) bezeichnet in der Medizin oder Biologie eine Schädigung, Verletzung oder Wunde, die durch Gewalt von außen entsteht. Als psychologisches Trauma wird die Erinnerung einer Person an die Situation eines für sie seelisch einschneidenden Erlebnisses bezeichnet bzw. der seelische und/oder neuerdings auch der körperliche (Hirnstrukturen) Eindruck, den das Erlebnis in der Seele der betroffenen Person hinterlassen hat. Häufig wird auch stellvertretend die traumatisierende Situation selbst als Trauma bezeichnet.
(de.wikipedia.org)
Es ist nicht möglich, würdevoll zu sterben, zumindest nicht von unserer Warte aus gesehen.
Egal, wie man gelebt hat, aufrecht, stolz, edelmütig, aufopfernd, fröhlich oder ganz anders: im Totenreich, Nachleben, der Geisterwelt kommen alle gleich an, als verwirrte, lallende Elendshäufchen, die tagelang, oft länger, weder denken, kommunizieren oder sich bewegen können. Es kursieren unter uns einige schlechte Witze über Menschen, die heroisch und stolz in ihren Tod gegangen sind und hinterher nicht mehr krauchen konnten.
Das alles vergeht natürlich. Die Intelligenz kommt zurück, nimmt in einigen Fällen sogar drastisch zu, und mit ihr auch die Bewegungs- und Sprachfähigkeit. Was indes verschwunden bleibt und nie wieder auftaucht, sind wesentliche Erinnerungen an das eigene Leben. Davon bleiben nur Blitzlichter. Man kann als eine Art Faustregel ansetzen: Je wichtiger ein Mensch, ein Ding oder ein Ereignis, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass man sich nach dem Tod daran erinnert. Die Chancen, den eigenen Namen noch zu kennen, gehen gegen null.
So, jetzt ist es heraus. Den Namen Kaspar Dornfeld habe ich mir ausgedacht. Ich wollte nicht namenlos bleiben.
Das alles ist eigentlich ganz praktisch eingerichtet, zwingt es uns doch, uns eine neue Existenz aufzubauen, anstatt an der alten festzukleben. Und dennoch: Es
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