Der weisse Neger Wumbaba
Söhne zur Oktoberfestzeit das Wochenende bei den Großeltern verbrachten, in München, nehme ich an. »Als sie zurückkamen, sang der Kleinere von beiden aus voller Brust: Ein Boot sinkt, ein Boot sinkt, in Gemütlichkeit. Auf unsere Frage, wie er auf diesen Text käme, meinte er nur, er hätte dieses Lied wiederholt im Radio und im Fernsehen gehört, und es handle sich um ein Schiff, das langsam untergeht.«
Das ist sicher die schönste Version von Ein Prosit, ein Prosit, der Gemütlichkeit, von der ich je gehört habe, Unsinn – es ist die einzig schöne und überhaupt akzeptable Version. Und falls ich noch jemals in einem Wies'n-Zelt sitzen sollte, werde ich nur diesen Text singen.
Es ist aber unwahrscheinlich, dass es so weit kommt.
Übrigens gibt es Verhörer, die einem so in Fleisch und Blut übergehen können, dass aus ihnen tatsächlich Wörter entstehen, die man täglich selbst benutzt. Herr A. aus Hamburg berichtet zum Beispiel von jenem Henry-48
Valentino-Schlager, der beginnt mit der Zeile »Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen« und in den Refrain mündet: »Rattan rattan radadadatan Rattan rattan
radadadatan.« Später kommt dann im Text – es handelt sich um ein Duett – das Mädchen selbst zu Wort, das sich Gedanken über den Mann macht, der hinter ihm fährt – und zwar so:
»…will der mich kontrollieren,
oder will er mich entführen?
Oder ist das in Zivil die Polizei?«
Und genau dieses »Zivil« kannte das Kind A. einfach nicht, er wusste nicht, was »Zivil« ist, bis er im Laufe seines Heranwachsens zu erkennen meinte, es handele sich hier um das Fremdwort »inzivil«, welches vermutlich
»vielleicht« bedeute. Tatsächlich eignete sich A. dann dieses Wort für eine Weile an, bis jemand… Und so weiter.
Noch ein weiteres Beispiel aus der Welt des deutschen Schlagers, welcher ja auch die Band Fehlfarben angehört, in deren Stück Ein Jahr (Es geht voran) Frau S. aus Hamburg die Zeile hörte:
»Große Büffelherden regieren bald die Welt,
es geht voran!«
Nun schrieb sie mir, dass »wir erst beim Nachlesen auf dem Plattencover erfuhren, dass es ›Befehlhelden‹ waren«.
An dieser Stelle war ich aber nun besonders stolz, Frau S.
als Autor darauf hinweisen zu können, dass es auch
»Befehlhelden« nicht waren, um die es sich hier handelte.
Sondern »graue B-Film-Helden«. Ronald Reagan eben.
Aber wenn man wählen darf… Dass große Büffelherden 49
bald die Welt regieren, ist doch eindeutig der schönste, weil rätselhafteste Text.
Wenn wir in dieser Richtung noch ein wenig weiter
gehen wollen, nehmen wir uns die Mitteilung von Frau K.
aus Leipzig vor, die mir schrieb, in der DDR habe es –
gesungen von Ute Freudenberg – ein Stück namens
Jugendliebe gegeben, das ging so:
»Jugendliebe bringt den Tag,
da man beginnt, alles um sich herum
ganz anders anzusehen.
Ha ha, Lachen trägt die Zeit,
die unvergessen bleibt.«
Frau K. hörte:
»Ha ha, Kakerlaken trägt die Zeit,
die unvergessen bleibt.«
Seltsam, die kakerlakentragende Zeit… Sie erinnert mich an Leserin S., die Skandal im Sperrbezirk von der Spider Murphy Gang immer so verstand:
»Und draußen vor der großen Stadt
steh'n Minuten sich die Füße platt.«
Herumstehende Minuten – das ist so viel reizvoller als die
»Nutten« im Original, deren Erwähnung letztlich so platt ist wie ihre Füße.
Zum Thema »Der (Ver-)Hörer als Poet« nun die Zuschrift von Herrn H. aus Reinbek:
»Wie wohl jeder Musik liebende Mensch habe auch ich in meinem Leben einige Liedtexte falsch verstanden, will Ihnen hier aber nur ein Beispiel schildern, das meines Erachtens zu jenen seltenen Fällen gehört, bei denen die 50
falschen Zeilen ein höheres Maß an Sinn und vielleicht auch Poesie beinhalten als die des Originals.« Seltene Fälle?, Herr H., selten? Es ist doch die Regel!
H. schrieb weiter: »Im Lied One night stand des deutschen Singer-Duos Joint Venture heißt es an zentraler Stelle (ich zitiere aus dem Booklet):
›Wir haben eine geile nacht
mit nichts als reden zugebracht
die freiheit und der willen
ein kind der wind die grillen‹
Diese Aufzählung von nächtlichen Gesprächsthemen mag zwar äußerst realistisch sein, aber ich halte sie für recht uninspiriert. Dies mag der Grund sein, weshalb ich jahrelang zu verstehen glaubte:
›die freiheit und der willen
erkennt der wind die grillen?‹
Erst nach vielen Jahren konsultierte ich das Booklet meiner CD, und zwar, um Gewissheit über
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