Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Tochter.«
»Um mich?«, fragte Gertrude verwundert.
»Wir alle wissen um dein schweres Schicksal und den Verrat deines Ehemanns.«
»Bleiben Sie mir mit diesem Schuft von Leib!«, brach es aus Gertrude heraus.
»Du wirst dich aber mit ihm beschäftigen müssen, meine Tochter. Er war dein Ehemann und hat dich zuerst in deiner Heimat zurückgelassen, während er selbst nach Louisiana ausgewandert ist. Als du ihm gefolgt bist, hat er die Gemeinschaft mit dir verweigert und eine Scheidung erwirkt.«
»Die nach den Gesetzen unserer heiligen Religion ungültig ist«, antwortete Gertrude herb.
»Die Scheidung ist so, wie sie ausgesprochen wurde, ungültig. Nur habe ich erfahren, dass James Shuddle, wie dein Mann sich hier nennt, mittlerweile ein anderes Weib geheiratet hat, und dies ist nicht nur eine schwere Sünde, sondern auch ein Grund, deine Ehe mit ihm für nichtig erklären zu lassen. Nun kann ich deswegen nicht an Seine Heiligkeit Papst Gregor XVI . schreiben, damit er die Ehe auflöst. Aber ich kann seine Erlaubnis voraussetzen und dies selbst tun. Daher brauchst du dich von diesem Augenblick an nicht mehr an diesen Unwürdigen gebunden fühlen, sondern kannst eine neue Ehe eingehen.«
Gertrude hatte Father Patricks Ausführungen mit wachsendem Erstaunen verfolgt und lachte bitter auf. »Wer sagt Ihnen, dass ich eine neue Ehe eingehen will?«
»Ich würde weniger sagen wollen als müssen. Wir befinden uns hier am Rande der Zivilisation. Hier leben viele Männer, denen es an Frauen fehlt. Wie kannst du ledig bleiben wollen, wenn du als Ehefrau und Mutter gebraucht wirst?«
Father Patrick legte die Hand auf Gertrudes Schulter und sah sie mit einem verschmitzten Lächeln an. »Es gibt einen Mann, der dich gerne zu seinem angetrauten Weibe machen will. Der gute Albert Poulain trägt schwer am Verlust seiner Charlotte. Aber du warst deren beste Freundin, und seine Tochter verehrt dich. Willst du diesen beiden Menschen nicht helfen? Auch bist du noch jung genug, um Kinder zu bekommen. Albert wünscht sich so sehr einen Sohn.«
»Albert Poulain will mich heiraten?« Obwohl Gertrude längere Zeit auf dessen Farm gelebt hatte, um die kranke Charlotte zu unterstützen, hätte sie niemals daran gedacht, deren Nachfolgerin zu werden. Doch als sie jetzt darüber nachdachte, gefiel ihr der Gedanke.
»Wenn Sie mir versichern, dass es keine Sünde gegen unseren Glauben ist, würde ich die Ehe mit Herrn Poulain eingehen«, antwortete sie nachdenklich. »Er muss sich meiner auch nicht schämen, denn ich bin nicht arm, sondern besitze einiges an Land. Herr Fichtner hat mir erst vorhin die Besitzurkunde gegeben.«
Gertrude eilte ins Haus und holte das Dokument, um es dem Priester zu zeigen. Dieser lächelte nur und rief laut zum Pferch hinüber, an dem Poulain stand. »Mein lieber Albert, du darfst jetzt kommen! Die Felsen, die du vor dem Ziel deiner Sehnsucht aufgerichtet sahst, haben sich als Kieselsteine entpuppt.«
So schnell war Poulain wohl schon lange nicht mehr gelaufen. Er stürmte auf Gertrude zu und fasste deren Hände. »Du willst mich wirklich heiraten?«
»Father Patrick hat mir eben erklärt, dass mir keine andere Wahl bleibt«, antwortete Gertrude lachend.
Unterdessen kam auch Cécile heran und schmiegte sich an sie. »Ich bin so froh, dass du meine neue Mama wirst.«
»Das will ich aber auch noch in einem Jahr von dir hören!«, spottete Gertrude, um ihre Rührung zu überspielen.
Doch die anderen merkten, was in ihr vorging, und so konnte Father Patrick mit dem Ergebnis seines Eingreifens zufrieden sein. Dann aber fiel sein Blick durch die Tür. Dort wiegte Nizhoni gerade den Kleinen mit einer Hand, während sie mit der anderen den Kochlöffel schwang, den Gertrude im Stich gelassen hatte.
»Ist das da drinnen Fitchners indianische Dienerin?«, fragte der Priester.
»Das ist Nizhoni«, antwortete Gertrude.
Father Patrick war bislang nur selten auf Walthers Farm gewesen und hatte nie auf die Navajo geachtet. Nun aber musterte er sie, als sähe er sie das erste Mal.
»Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn du jetzt von hier fortgehst und Fitchner mit dieser Frau allein bleibt. Sie ist jung und hübsch genug, um selbst einen Heiligen in Versuchung zu führen.«
»Das würde Nizhoni niemals tun«, tat Gertrude diesen Einwand ab.
Dann aber wandte sie ihren Blick Nizhoni zu. Auf ihren Lippen erschien ein seltsames Lächeln, das weder Father Patrick noch Albert Poulain oder dessen Tochter zu deuten
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