Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
verwunderlich, dass sie uns bisher entgangen sind, denn so weit flussaufwärts sind wir noch nicht gekommen. Ich frage mich nur, wie sie es geschafft haben, so weit nach Norden zu gelangen. Von Süden aus hätten sie Ihr und unser Siedlungsgebiet weiträumig umgehen müssen.«
»Sie könnten aus dem Osten gekommen sein«, wandte Jemelin ein. »Dort gibt es eine Siedlung namens Nacogdoches, in der auch Americanos leben. Von dort ist es nicht weit nach Louisiana, und das gehört zu den Vereinigten Staaten von Amerika.«
»Auf jeden Fall müssen wir mit den Leuten Kontakt aufnehmen. Vielleicht können wir uns gegenseitig unterstützen«, schlug Walther vor.
Jemelin schüttelte sofort den Kopf. »Das sollten wir den Männern des Gouverneurs überlassen! Ich glaube nicht, dass diese Americanos die Erlaubnis besitzen, hier zu siedeln, sonst hätte ich es erfahren. Doch wenn diese Leute glauben, sie können einfach nach Tejas kommen und sich ein Stück Land nehmen, so haben sie sich getäuscht.«
Derart verärgert hatte Walther seinen Nachbarn noch nie erlebt. Jemelins Abneigung gegen die Nordamerikaner übertraf sogar noch die, die Hernando de Gamuzana gezeigt hatte. Solange sich die Siedler an die mexikanischen Gesetze hielten, musste es doch gleichgültig sein, aus welchem Land sie stammten, sagte er sich. Aber er wollte sich nicht mit Jemelin streiten und behielt seine Meinung für sich. Stattdessen wies er nach draußen, wo der Sonnenstand bereits den Nachmittag anzeigte.
»Wenn ich heute noch nach Hause kommen will, sollte ich jetzt aufbrechen.«
»Sie haben doch noch gar nichts gegessen«, wandte Jemelin ein. »Rosita hat extra Tortillas für Sie gebacken.«
»Dann bleibe ich natürlich noch ein Weilchen. Auf Señora Rositas Tortillas habe ich mich schon die ganze Zeit gefreut«, antwortete Walther nicht ganz wahrheitsgemäß und wartete, bis Jemelins Frau ihm die erste Portion vorlegte. Die Füllung war derart scharf, dass ihm die Tränen in die Augen traten.
Jemelin bemerkte es und schenkte ihm rasch ein großes Glas Tequila ein. »Hier, trinken Sie!«
»Danke!« Walther schüttete den scharfen Schnaps wie Wasser hinunter und spürte dabei weder dessen Geschmack noch den Biss des Alkohols. Mit einem Rest von Galgenhumor dachte er, dass Jemelin die Suppe und die Pfannkuchen, die Gisela diesem bei seinen Besuchen vorsetzte, wohl als arg fad empfinden musste.
Das Essen dauerte seine Zeit, und anschließend fragte Jemelin Walther, was er und die anderen Siedler von der
Loire
noch benötigten. »Ich reite morgen nach San Felipe, um Don Hernando mitzuteilen, dass Komantschen in der Gegend gesehen worden sind. Auch muss ich ihm von der Ansiedlung der Americanos berichten. Wenn ich schon dort bin, werde ich mir einige Sachen besorgen und kann auch Ihnen etwas mitbringen«, bot er mit einem auffordernden Lächeln an.
Walther dachte kurz nach und nickte. »Das wäre nett von Ihnen. Wir brauchen noch etwas Saatgut und ein paar Vorräte. Solange wir Häuser bauen und uns einrichten müssen, kommen wir nicht zum Jagen. Dabei gibt es hier genügend Wild. Wir benötigen auch weitere Waffen. Zwar besitzt jeder Siedler ein Gewehr, aber wenn wirklich Indianer angreifen, ist das zu wenig.«
»Da haben Sie recht!«, stimmte Jemelin ihm zu. »Jeder meiner Vaqueros ist bewaffnet, und das ist auch notwendig. Es geht ja nicht nur um die Komantschen, denn deren Jagdgründe liegen weiter im Westen, sondern mehr noch um die Karankawa und die anderen Stämme in dieser Gegend. Die stehlen zwar meistens nur ein Stück Vieh, aber gelegentlich überfallen sie auch eine Hacienda. Da sollte ihnen schon mehr als eine Kugel entgegenfliegen. Ich werde sehen, was ich in San Felipe ausrichten kann.«
»Herzlichen Dank! Im Grunde benötigen wir alles, was hier draußen gebraucht wird.« Walther ließ zu, dass Jemelin ihm sein Glas noch einmal füllte, und trank in kleinen Schlucken.
Nun mischte sich auch Rosita Jemelin ins Gespräch. »Ich habe Gisela versprochen, ihr ein paar Kürbiskerne mitzugeben, damit sie welche ziehen kann.« Lächelnd stellte sie ein kleines Leinensäckchen auf den Tisch. »Ich habe aber auch noch Samen von dem guten Chili, den ich in die Suppe und die Tortillas tue. Gisela wird sich freuen, wenn sie ihn ansäen kann.«
Ohne auf Walthers Antwort zu warten, holte sie einen kleinen Beutel und stellte ihn zu dem mit den Kürbiskernen.
Walther starrte auf die Samensäckchen und überlegte, ob er den Chili nicht
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