Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Sippe.
Nachdenklich betrachtete Walther die Waffen der drei. Julio besaß als Einziger ein Gewehr, das den Namen auch verdiente. Die anderen beiden hatten Pistolen ehrwürdigen Alters in den Gürteln stecken, mit denen er selbst keinen Schuss mehr gewagt hätte.
»Wenn ich wieder nach San Felipe komme, werde ich bessere Waffen für euch kaufen«, versprach er.
»Unsere Waffen sind gut!«, rief Quique. »Diese Pistole hier hat Don Alfonso de Gamuzana, der Großvater von Don Hernando, meinem Großvater geschenkt. Sie hat ihm und meinem Vater gute Dienste geleistet, und jetzt besitze ich sie.«
»Ich werde euch trotzdem neue Gewehre besorgen. Du kannst ja das deine später einmal an einen Sohn und Enkel vererben.« Walther klopfte dem Jungen lachend auf die Schulter und verabschiedete sich.
»
Adiós,
Señor!«, riefen die Hirten ihm nach.
Sie waren in einem anderen Land als er geboren und hatten von ihren Müttern eine andere Sprache gelernt, dennoch fühlte Walther sich stärker mit ihnen verbunden als mit den meisten Menschen, die er in seiner Heimat gekannt hatte. Während er zu seiner Farm zurückritt, dachte er auch über die beiden Indianer nach, die er getroffen hatte. Noch immer wusste er nicht, was er von ihnen halten sollte. Waren sie gekommen, um zu prüfen, ob sich ein Überfall lohnte?
Bei dem Gedanken fiel ihm ein, dass er in Kürze zur Küste würde reiten müssen, um Neusiedler in San Felipe de Guzmán abzuholen. In dieser Zeit musste Gisela mit Pepe allein auf der Farm bleiben. Dem Knecht traute er jedoch nicht den Mut und die Entschlossenheit zu, um sich gegen eine Gruppe wilder Indianer zu behaupten.
Und doch würde er den Auftrag erfüllen müssen, den Hernando de Gamuzana ihm im Namen seines Bruders Ramón erteilt hatte. Immerhin hatte er das größte Stück Land von allen Überlebenden der
Loire
erhalten und war dafür zum Verwalter des Nordteils jenes Gebiets ernannt worden, das Ramón de Gamuzana im Auftrag der Republik Mexiko besiedeln sollte.
Kurz bevor er seine Farm erreichte, sah er, dass zwei Pferde vor dem Haus angepflockt waren. Sofort trieb er seinen Hengst an und war kurz darauf zutiefst erleichtert, als er Diego Jemelins Rotschimmel erkannte. Jemelin war nicht nur sein nächster Nachbar, sondern auch der Verwalter des südlichen Teils des Siedlungsgebiets. Der andere Gaul war ein Schecke, den er schon bei Jemelin gesehen hatte.
Noch während Walther sein Pferd neben Jemelins Hengst anband, trat dieser auch schon aus dem Haus. Auch er war zum Teil indianischer Abstammung, einen guten halben Kopf kleiner als Walther, untersetzt und so zäh, dass er drei Tage lang durchreiten konnte, ohne Pause zu machen. Da er einen scharfen Verstand besaß, war er für Ramón de Gamuzana der ideale Mann, die Ansiedlung in diesem Gebiet zu leiten.
»
Buenos días,
Señor Jemelin«, begrüßte Walther ihn.
»
Buenos días,
Señor Waltero!« Jemelin hatte es aufgegeben, Walthers Nachnamen Fichtner aussprechen zu wollen, und nannte ihn Waltero, wie es den Vorgaben der mexikanischen Behörden entsprach, die eine Angleichung der Vornamen an die spanische Schreibweise verlangten.
»Ich habe von Ihrer Señora gehört, dass sich hier Indios herumtreiben sollen. Gab es Probleme mit Ihren Rindern?«
»Zum Glück keine! Eine Kuh hat heute Nacht gekalbt«, antwortete Walther aufgeräumt.
»Es wird nicht das einzige Kalb bleiben. In fünf Jahren haben Sie mindestens zwanzig Rinder und in zehn hundert«, prophezeite Jemelin, um dann wieder auf die Indianer zurückzukommen. »Was waren das für Indios? Karankawa? Die schweifen in letzter Zeit wieder arg herum, seit sie weiter im Osten mit Americanos aneinandergeraten sind.«
Walther zuckte mit den Schultern. »Ich kenne mich mit den verschiedenen Indianerstämmen nicht so aus wie Sie, Señor Jemelin. Die beiden Männer sagten, sie wären Nemene!«
»Madre de Dios!«
Jemelin wurde bleich und schlug das Kreuz. »Wissen Sie, was das sind? Komantschen! Die Schlimmsten von allen! Danken Sie der Heiligen Jungfrau von Guadalupe dafür, dass Sie noch leben. Bei Gott, wenn ich daran denke, dass diese Wilden hier durch unsere Gegend schweifen! Ich werde sofort nach Hause reiten und meine Leute warnen. Auch muss ich Botschaft an Don Hernando schicken, damit er uns Soldaten schickt. Wir brauchen sie dringend.«
Walther wunderte sich. So gefährlich hatte dieser Po’ha-sonst-was in seinen Augen nicht gewirkt. Allerdings war Jemelin in diesem Land aufgewachsen und
Weitere Kostenlose Bücher