Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
–«
»Und dann zack, zoom«, sagte ich, »er sieht sie, und wir hören, was sie denkt.«
»Genau!« schrie Harry ins Telefon, »woher weißt du das?« »Hast du schon erzählt«, sagte ich, und Otto rief aus der Küche: »Frag ihn, was er zahlt! Der soll nicht denken, er kriegt alles umsonst.«
»Was will er?« fragte Harry, und ich sagte: »Bis morgen abend ist es fertig.«
Ich las den ganzen Montag, die ganze Nacht hindurch. Ich tauchte zurück in mich als Siebzehnjährige und fand Gedanken, an die ich mich nicht mehr erinnerte, Gefühle, die mich einmal gewärmt hatten, ich sah mich wieder so mager und immer ganz in Schwarz, ketterauchend und mit viel zu hohen Absätzen, blaß neben meinem bleichen Geiger, der mich ansah und sagte: »Ach, Prinzessin, du bist zu jung...« und ich sagte: »Ich komme mir vor wie ein Baum im Frühlingswind, der zerbrechen wird, wenn der Sturm kommt.« Und ich schrieb bei Rilke ab: »Wenn ich gewachsen wäre irgendwo, wo leichtere Tage sind und schlanke Stunden, ich hätte dir ein großes Fest erfunden, und meine Hände hielten dich nicht so, wie sie dich manchmal halten, hart und bang.«
Kein Wunder, daß er mich damals verlassen hat, ach, was gäbe ich darum, ihn heute noch einmal wiederzusehen und ihm zu erklären, was das ist, ein siebzehnjähriges Mädchen.
Ich schrieb den Sehnsuchtstext für Harry aus allen Gedichten, Briefen und Tagebuchaufzeichnungen jener Zeit zusammen, und er begann so:
»Mein Liebster, ich seh dich an mit meinen Herzensaugen, durchs Meer der Träume bin ich auf dich zugegangen, laß jetzt meine Flügel nicht an deinem steinernen Herzen brechen! Ich möchte immer nur von Liebe zu dir reden, aber du und ich, wir wissen ja, wenn die Liebe spricht, spricht, ach die Liebe nicht mehr. Du bist mir alles, und ich bin für dich nur ein Augenblick...«
»Das ist ganz, ganz große Klasse«, sagte Harry ergriffen, »steinernes Herz, Meer der Träume, wie kommt ihr Frauen bloß immer auf sowas? Genauso stell ich mir das vor, und dann guckt sie hoch und –«
»... und zack, zoom«, sagte Otto. »Mein Gott, Doris, hast du dem armen Kerl damals wirklich solche Briefe geschrieben?« Und Harry sagte: »Es ist grandios, ich hätte das nie so schreiben können, was weiß man schließlich schon von den Weibern, und es paßt genau in meinen Film. Doris, du bist eine Wucht.«
Er wollte mich küssen, aber ich bog den Kopf leicht weg und dachte: »Was weißt denn du. Was weißt du denn schon. Dir hat nie jemand solche Briefe geschrieben, dir wird nie jemand solche Briefe schreiben, und all deinen Filmen wird immer das Herz fehlen. Dein Herz, Harry, wird den Sommer der Liebe nur aus verdunkelten Schneideräumen kennen.«
Nun, um es kurz zu machen: Schon Harrys erster Film wurde ein durchschlagender Erfolg – Grimme-Preis, Goldene Kamera, Preis der evangelischen Filmkritik, und heute sitzt Harry, wie gesagt, in Santa Monica und kennt nicht nur Dustin Hoffman, sondern sogar Clint Eastwood, und mit Winona Ryder hat er auch schon einen Film gedreht.
Ich aber hörte damals, vor mehr als zwanzig Jahren, im Fernsehen meine Worte, von der so jungen, schönen Schauspielerin geflüstert, während sie zum Fenster hochsah, an dem der Lehrer stand und nachdenklich nach unten auf den Schulhof schaute, und dann, zack, zoom – und ich dachte: Vielleicht sitzt jetzt irgendwo mein junger, nein, nun alter Geiger vor dem Fernseher und die Worte kommen ihm bekannt vor, dringen durch seine Haut, schmelzen etwas in seinem Innern und er wird – ach nein, er kann sie ja nicht kennen, ich hab den Brief doch niemals abgeschickt. Ich hab ihn nicht einmal geschrieben, nur jetzt, nur für diesen Film, ich habe ihn aus den echten Gefühlen und den geklauten Zitaten von damals konstruiert, und nun hören ihn acht Millionen Zuschauer. Werden sie etwas dabei empfinden? Werden sie lachen? Oder sich erinnern an die Zeit, als die Gefühle noch so groß und leuchtend waren wie der Vollmond an den Sommerabenden im Süden?
Als ich zwei Wochen nach der Ausstrahlung des Films im Fernsehen in unsere Küche kam, stand da eine große, altmodische, gußeiserne Wurstschneidemaschine, und Otto säbelte gerade millimeterdünne Scheiben von einer ungarischen Salami ab.
»Was ist das?« fragte ich, »woher hast du die?«
»Das«, sagte Otto, »ist die tollste Wurst- und Schinkenschneidemaschine der Welt, sie hat Harrys Großvater gehört, und Harry hat sie vorhin gebracht, als Bezahlung für deinen Liebestext.
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