Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
daran sterben wollte. Er war Geiger, ein blasser, blonder Mensch, und er war so still, wie ich lebhaft war. Deshalb liebte ich ihn ja, alles an ihm war anders als an mir, und wenn man jung ist, liebt man das andere. Später sucht man Gleiches, sucht Ruhe, Verstehen, Harmonie, Übereinstimmung. Aber mit siebzehn muß alles neu und anders und unerhört sein. Ich spielte schlecht Klavier, er spielte hinreißend Geige. Ich war so jung und unerfahren, er war über dreißig, hatte eine feste Freundin im Orchester und eine Affäre mit einer Spanischlehrerin, die große Hüte trug. Aber mit mir machte er lange Spaziergänge, hielt meine Hand und nannte mich Prinzessin. Er nahm mich mit in seine Wohnung und spielte mir auf seiner Geige Tschaikowskij vor und Brahms, und mein Herz zitterte und ich hätte ihn gern sofort geheiratet, aber daran war natürlich nicht zu denken, ich stand zwei Jahre vor dem Abitur. Wir schliefen ja nicht einmal miteinander – es waren die 60erJahre! Gerade, daß wir uns ab und zu küßten. Ich schrieb Tagebücher voll seinetwegen, über ihn, an ihn. »Heute habe ich dich gesehen und der Tag ist vergoldet«, schrieb ich. Ich dichtete Verse: »So ist zuletzt doch alles nur ein Warten auf deine Liebe und auf dich, so tief, unsagbar tief erfüllst du mich wie Duft von zuviel Blumen einen engen Garten«.
Heute denke ich, etwas Ähnliches muß ich irgendwo gelesen und vielleicht abgeschrieben oder umgedichtet haben, damals schienen aber alle Gefühle nur aus mir selbst zu kommen, kein anderer Mensch fühlte wie ich, und da verwischt sich Angelesenes mit den Träumen.
Einen engen Garten... nicht schlecht, ich las es Harry vor, und er war begeistert.
»Wunderbar«, rief er, »solche Schmalzgedichte muß sie dem Lehrer schreiben!«
Und es ist nicht so, als hätte es mir nicht doch noch einen kleinen wehen Stich ins Herz gegeben, nach all den Jahren.
»Ich färbte dir den Himmel brombeern mit meinem Herzblut, aber du kamst nie mit dem Abend – ich stand in goldenen Schuhen«, sagte ich, und Harry wälzte sich auf dem Teppich vor Vergnügen. »Goldene Schuhe, ich werd nicht mehr!« lachte er, »das ist große Klasse, hörst du das, Otto? In goldenen Herzensschuhen stehen die Frauen und warten auf uns, komm, schreib das auf, Doris, genau so soll sie ihn anschmachten.«
»Else Lasker-Schüler«, sagte ich kühl, »das ist nicht von mir, das ist von Else Lasker-Schüler«, und er fragte: »Kenn ich die? Studiert die auch Theaterwissenschaft?«
»Nein«, sagte ich schnippisch, »die kennst du nicht, Else Lasker-Schüler ist eine wunderbare große Dichterin, die verwurschtest du nicht in deinem Film.«
Gegen das Wort ›verwurschten‹ war Harry, Sohn des Inhabers einer Würstchenbudenkette, allergisch. »Ich verwurschte nicht«, sagte er, »ich setze künstlerisch um.«
»Jaja«, sagte ich, »und wie nennen wir das, wenn Arthur Miller zu Marilyn Monroe sagt: ›Du bist das traurigste Mädchen, dem ich je begegnet bin‹, und sie hält das für einen ganz kostbaren, persönlichen Satz, und schon ist er, schwupp, in seinem nächsten Stück? Man nennt das verwurschten. Da seid ihr doch alle gleich.«
»Das hat Miller gemacht?« fragte Harry, »der gerissene alte Fuchs. Komm, Doris, stell dich nicht an, das wird ein Kultfilm, wir werden alle weltberühmt, wer kennt denn schon Else Müller-Dingsbums. Los, guck deine Tagebücher durch und such mir was raus, Liebesqualen, Geseufze, Herzeleid, den ganzen Sehnsuchtskram. Paß auf, ich fang so an: Schulhof von oben, sie steht unten mit den andern Mädchen, er im zweiten Stock am Fenster, Lehrerzimmer. Er guckt runter, zack, zoom, groß auf sie, sie guckt rauf und dann höre ich, was sie denkt, verstehst du?«
»Was denkt sie?« fragte Otto, »daß sie ihre Tage kriegt und die Lateinarbeit verhauen hat?«
»Blödmann«, sagte Harry, »sie denkt... sie denkt, ja, das ist es eben, was denkt sie? Doris, genau das mußt du schreiben: was so ein Mädchen denkt, wenn es total verliebt ist. Goldene Schuhe, Himmel färben und so, du weißt schon. Wir hören ihr quasi beim Dichten und Denken zu, komm, Doris, schreib mir das.«
»Was zahlst du?« fragte Otto, »Herzblut kostet.«
»Mensch«, sagte Harry, »sei doch nicht immer so geschäftstüchtig. Du weißt, wie knapp der Etat ist. Doris hat das ganze Liebesgedusel doch drauf, sie muß es doch bloß abschreiben. Oder gib mir dein Tagebuch, Doris, und ich such mir die klebrigsten Stellen raus.«
»Das könnte dir so
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