Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
Bobby, some call him Zimmi, I call him Lucky, Mr. Bob Dylan.«
Er war soviel kleiner und zarter als alle anderen, er hatte kurze Locken und trug ein kurzes Jäckchen. Um seinen Mund waren tiefe, scharfe Falten, und er schloß die Augen, spielte Gitarre und sang. Sang? Er näselte, krächzte und schlurfte mit der Stimme wie ein besoffener alter Mann, wie ein wunder, knurrender Straßenköter. Nach den vorhergegangenen Gitarrengewittern fühlte man das Erschrecken über soviel Stille gegen den Strich. Da stand er, ohne Gehampel, ohne scharfe Gitarrenriffs und Glitzerklamotten, und er hatte die Welt immer für uns alle in Poesie gebracht und flüsterte: »It’s alright, Ma, I’m only bleeding«, schon gut, Mama, mach dir keine Sorgen, ich sterbe nur gerade, mein Herz bricht nur gerade, aber sonst, alles in Ordnung, Mama.
»You lose yourself, you reappear
you suddenly find you got nothing to fear.«
Du verlierst dich, du findest dich wieder, und plötzlich spürst du: du mußt keine Angst mehr haben, es kommt einer, und der findet dich.
Karl und mir liefen die Tränen einfach so aus den Augen, und wir sahen uns an. Und endlich küßten wir uns, endlich, nach zwanzig Jahren Umweg, hungrig, verwundert, glücklich, unsere ganze lange Geschichte war an dem Punkt angekommen, auf den sie immer zugesteuert war. What was it I wanted? Das, genau das.
Und als es an der Haustür wieder Sturm klingelte, machten wir nicht auf, Karl, Bob Dylan und ich.
Wurst und Liebe
Harry hatte damals gerade die Filmhochschule beendet, und zwar mit Bravour, da bekam er die Chance, seinen ersten eigenen Film zu drehen. Fördergelder waren zugebilligt worden, ein Team stand zur Verfügung, und es gab die Zusage des Senders, den Film zu unterstützen und schließlich zu zeigen. Das war Mitte der 70er Jahre. Wir studierten damals alle Theaterwissenschaft, und Harry war noch zusätzlich auf die Filmhochschule gegangen.
Harry glühte. Er saß in unserer Küche und erfand den Film neu, er entwickelte sonderbare Liebesgeschichten, tiefgründige Dramen, doppelbödige Komödien und schließlich einen handfesten Krimi.
»Das wollen sie sehen«, sagte er, »das brauchen sie immer, ich muß gleich etwas liefern, mit dem ich voll einsteige, erst mal ein kommerzieller Erfolg, dann kann ich immer noch Träume verwirklichen.«
Harry ist Realist, nicht umsonst sitzt er inzwischen tatsächlich in Santa Monica und kennt schon Dustin Hoffman. Harry wußte immer, was er wollte: ein großer Regisseur werden. Als Kind hatte er mit einer alten Super acht den Tag an einer der Würstchenbuden seines Vaters festgehalten, die Penner, die da ihr Bier tranken, die Büroangestellten, die sich abends ihre Currywurst mit Pommes rot-weiß reinstopften, die Hausfrauen mit dem Häppchen zwischendurch – Harry hatte sie alle auf Super acht, mit Ton und Musik unterlegt, das war das Leben, das war sein Leben.
Ein Krimi also. Aber mit Liebe. Ein Schüler-Lehrer-Krimi, das Milieu war ihm selbst noch nah, das kannte er, Schüler liebt Lehrerin, nein, besser: Lehrer liebt Schülerin, verführt sie, Freund wird eifersüchtig, Mord, Aufklärung, Tränen, Liebe und Tod, herrlich.
Er machte sich ans Drehbuchschreiben, aber das war nicht seine Stärke. Harry ist ein Mann der Bilder, und in unserer Küche war er durchaus auch ein Mann des Wortes, aber ein Drehbuch – das ist schon was anderes, und wir Freunde mußten mit ran. Wir entwarfen die Geschichte mit ihm zusammen, wir bastelten an den Dialogen herum, machten Vorschläge, er änderte, wir tranken algerischen Tafelrotwein und matschten uns klebrige Tomaten-Käse-Toasts zusammen. Das Drehbuch wuchs, nahm Gestalt an, der Redakteur des Senders war entzückt. Ein erfahrener Schauspieler wurde als Lehrer engagiert, eine blutjunge und wunderschöne Schauspielerin als Schülerin, und irgendwann stand das ganze Projekt tatsächlich vor Drehbeginn.
Harry war selig, aufgeregt, voll in Fahrt und Form. Aber irgend etwas fehlte ihm noch.
»Ich weiß nicht, was«, sagte er, »aber es fehlt etwas, es fehlt eine Idee für den Anfang. Ich kann sie doch nicht einfach in der Klasse sitzen lassen und sie schwärmt ihn an. Doris, was macht ein Mädchen mit siebzehn, wenn es verliebt ist?« fragte er mich.
Was für eine Frage! Ich wundere mich immer wieder darüber, daß es tatsächlich noch zu Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen kommt, obwohl sie doch derart wenig voneinander wissen. Ich war mit siebzehn so verliebt, daß ich
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