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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Heidegger zitieren konnten, aber keine Ahnung hatten, wie man einen Büstenhalter aufhakt, oder Dozenten mit verschmierten Brillen, Mundgeruch und billigen Schuhen. Und sie hatte im ersten Semester auch wirklich viel tun müssen – sich in die richtigen Seminare einschreiben, die Universität, die Bibliotheken, das Studentenleben kennenlernen, sie hatte sich ein Zimmer suchen und bald darauf in ein zweites umziehen müssen, weil der erste Vermieter sie belästigte. Und er war ja auch nicht unbedingt das, wonach sie sich sehnte, ein kahlköpfiger, dicker Junggeselle in Pantoffeln, der morgens an ihre Zimmertür klopfte und heiser rief: »Fräulein Steinmetz, warum schließen Sie sich denn ein? Ich will doch nur ein bißchen lieb zu Ihnen sein.«
    In den Semesterferien war sie mit ihrer Freundin nach Frankreich gefahren und hatte in Burgund bei der Weinlese mitgeholfen. Viel Arbeit, wenig Bezahlung, sehr viel Spaß, aber der Mann, den sie sich für ihre erste Nacht gewünscht hätte, war unter all den Erntehelfern auch nicht dabeigewesen. Das waren freundliche Bauern mit hart verarbeiteten Händen, mit denen man lachen, singen, gut arbeiten und viel Wein trinken konnte, aber an Leidenschaft war nicht zu denken, und sowieso schliefen die Aushilfskräfte in Gemeinschaftsräumen, die Mädchen in der einen Scheune, die Jungen in einer anderen.
    Im zweiten Semester mußte Franka sich einen Job suchen, weil das wenige Geld, das ihr Vater ihr schickte, nicht reichte. Sie fing als Briefträgerin in dem Vorort an, in dem sie wohnte. Das brachte achthundert Mark im Monat, alles in allem kein schlechter Job, aber man mußte dafür um fünf Uhr aufstehen, und fünf Uhr, das war einfach grauenhaft. Um fünf mucksten sich Anfang Oktober noch nicht einmal die Vögel, die letzten Säufer schliefen, die ersten Bahnen fuhren noch nicht, und die Müllabfuhr war um diese Zeit auch noch nicht unterwegs. Um fünf konnte man sich auch noch nicht waschen – Fenster auf und kalte Luft hereinlassen, das war alles, wozu sich Franka überwinden konnte. Sie aß ein Stück Brot oder ein bißchen Schokolade im Stehen, trank schwarzen Nescafé dazu, und dann los. Um halb sechs mußte Franka bei ihrer Postfiliale antreten, zusammen mit zwei Kollegen – dem dünnen Hugo, der fast nichts sagte, und dem dicken Walter, der dafür ununterbrochen redete. Er redete nur von Sex und davon, wie er es mit seiner Frau machte, und wenn Walter mal aufs Klo ging, sagte Hugo: »Gar nichts macht er. Sie betrügt ihn schon lange mit einem von der Allianz, aber sag mal nichts.«
    Walter war die Tour ein paarmal mit Franka abgefahren und hatte sie eingewiesen. Er hatte sie dabei auf besonders üppige Frauen oder willige junge Mädchen hingewiesen, die einem armen Briefträger schon mal mit Schnaps und Kuß beistanden, wenn der Tag besonders grau war. Aber für Frauen und Mädchen interessierte sich Franka nicht, und über die Männer wußte Walter nichts zu sagen.
    Inzwischen fuhr sie allein mit dem schweren gelben Postrad und den beiden großen Taschen, wenn sie alle Briefe, Zeitungen, Karten nach Straßen und Hausnummern eingeordnet hatte.
    Um sieben Uhr etwa war sie damit fertig. Sie gähnte, biß einmal an Hugos Käsebrot ab, während Walter sich die Fingernägel mit dem Rand einer Postkarte reinigte. Er las die Postkarte vor: »Liebe Mutter, viele Grüße, Dein Klaus. P.S. Vielleicht komme ich Dich demnächst besuchen. So ein Arschloch. Er kommt ja doch nie. Man sollte der armen Frau seine blöden Karten am besten gar nicht mehr zustellen.«
    Franka las auch ab und zu die Karten und fand, daß die Leute fast nur Unsinn schrieben. Interessant, aber irgendwie unverständlich waren eigentlich immer nur die mit Bleistift gekritzelten Karten, die die junge Tierärztin in der Herderstraße von irgendeinem Wahnsinnigen aus Münster kriegte. Neulich hatte er geschrieben: »Zukunft! Zauber! Zhang!« und heute schrieb er: »Europa: du Nasenpopel aus einer Konfirmandennase. Laßt uns nach Alaska gehen. Gottfried Benn.« Was sollte das? Gottfried Benn war doch ein berühmter Dichter? Und der schrieb über Nasenpopel? Und was bedeutete das alles als Botschaft an eine Tierärztin? Franka hatte außer der Tierärztin noch drei Ärzte in ihrem Bezirk, das war gut, denn da gab es immer eine Menge Pröbchen, Ärztemuster, Vitamintabletten, von denen sie etwas für sich abzwacken konnte.
    Der Job bei der Post ermöglichte Franka nach und nach einige Einblicke in die männliche

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