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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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passen«, sagte ich, »niemals kommt mein Tagebuch in deine fettigen Finger.«
    »Ha«, sagte er, »das ist auch gut, so mit Alliteration wie bei Wagner, wigulaweia, Wotan, woge, fasse mit fetten, fiesen Fingern freudloses Flehen...« Und er und Otto lachten, bis ihnen die Tränen kamen, und dann steckte sich Harry eine Zigarette an, gab mir einen Abschiedskuß auf die Wange und sagte: »Also, Doris, ich verlaß mich auf dich. Bis Montag.«
    Es war ein rührseliges Wochenende. Ich ertrank im Seelenschmerz von damals, ich las die kurzen Zettel, die der Geiger mir geschrieben hatte – »Du meine Prinzessin«, schrieb er, »unsere Liebe schwebt sehr hoch oben auf einem wackligen Gerüst, Vorsicht, mach nicht die Augen auf, wir stürzen ab...«
    Ich las einen Packen langer Briefe, die ich mit brauner Tinte an ihn geschrieben und nie abgeschickt hatte, reich gespickt mit auf ihn hin abgewandelten Zitaten quer durch die Weltliteratur: »Du mein Geiger, dein Lächeln ist so weich und fein, wie Glanz auf altem Elfenbein, wie Heimweh, wie ein Weihnachtsschnein...«
    Was war das? Rilke? Warum erinnerte ich mich kaum noch daran, war mein jetziges Leben denn so gänzlich abgetrennt von dem des verliebten jungen Mädchens damals? Was war mit mir passiert, wann hatte ich das alles vergessen? Ich dachte so groß damals, so kühn in eigenen und gestohlenen Bildern. Heute denke ich klein, mein Herz brennt nicht mehr und ich habe mich der Welt angepaßt, anstatt die Welt meiner Leidenschaft anzupassen. Ich überlegte, wer die Schuld an all diesen Verlusten trug – das Erwachsenwerden? Das Studium? Ottos Pragmatismus? Ich sehnte mich zurück nach der törichten Beseeltheit der ersten Liebe.
    Ich tastete mich Schritt für Schritt in die gefühlsselige Vergangenheit, und Otto hatte schlechte Laune und sagte: »Kochen wir nun diesen verdammten Grünkohl oder nicht?« und ich antwortete sanft: »Koch du, Lieber, ich kann jetzt nicht, ich bin ganz woanders.« Aber ich sagte ihm dann doch, daß er zuerst Zwiebeln in Gänseschmalz andünsten müßte.
    »In der herbstlichen Zeit, wie ist es so leicht, schluchzend zur Erde zu sinken«, hatte ich im Oktober 1963 geschrieben, und ich weiß noch heute, daß das von einem ungarischen Dichter ist, dessen Namen ich längst vergessen habe. Ich bin wieder siebzehn und gleich wird es klingeln, der blonde Geiger wird schmal in der Tür lehnen und flüstern: »Hallo, Prinzessin, komm, wir fliegen weg von hier.«
    Damals hatte er mir, als ich seinetwegen so traurig war, geschrieben: Flüchte dich in das, was schön ist und nur dir gehört.
    Was gehörte denn jetzt nur mir? Sogar meine intimsten Tagebuchaufzeichnungen sollten für einen Film verwendet werden. Warum eigentlich wollte ich das zulassen? Ich glaube, ich hatte das Gefühl, so wären sie nun doch nach so vielen Jahren noch zu etwas nütze, die Welt würde sie hören, zwar nicht wissen, daß es meine Seele war, die da aufschrie, aber doch hören, daß es eine Seele war, die schrie, oder?
    Harry rief am Montag an: »Na, was macht mein Liebestext?«
    »Bin dabei«, sagte ich und las ihm vor:
     
    »Mit solchen Kronen krönst du mein Geschick.
Du bist durch dich. Ich kann nicht Gleiches geben.
Doch wenn ich einst, noch flammenden Gesichts,
mir auch gestehen müßte, daß ich nichts
dir war als nur ein flüchtger Augenblick –
du warst ja doch mein ganzes junges Leben!«
    Harry schwieg verblüfft.
    »Bist du noch da?« fragte ich.
    »Großer Gott«, sagte er, »ist das von dir?«
    »Nein«, sagte ich, »von Rudolf G. Binding, aber ich hab’s ein bißchen umgedichtet.«
    »Weiter so«, sagte Harry, »mehr davon, ist mir Wurscht, ob es von einer Frau Müller-Dingsbums oder einem Herrn Bending ist – dichte es ein bißchen um, damit wir kein Theater mit den Rechten kriegen, und sieh zu, daß es sich nicht reimt. Die kann ja schließlich nicht dauernd in Versen denken, wenn du verstehst, was ich meine. Laß diese Kronen und das Geschick und flüchtger Augenblick und so, laß das alles weg, laß sie bloß denken: ich bin dir nur ein Augenblick, und du – du bist – was war er noch mal?«
    »Du warst ja doch mein ganzes junges Leben«, sagte ich matt.
    »Genau«, sagte Harry, »aber nicht ›warst‹, die Affäre kommt ja gerade erst ins Rollen, ›bist‹ muß es heißen, du bist ja doch und so weiter. Herrlich, und das leg ich dann unter den ganzen Vorspann, weißt du, sie geht über den Schulhof, guckt hoch, er guckt zufällig runter und dann

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