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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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bekam, las sie heimlich die Angélique-Romane von Anne Golon, in denen auch vor Lust gestöhnt wurde.
    Und dann traf sie ihn.
    Sie radelte nach ihrer Tour zurück zum Postamt, er ging auf dem Radweg. Sie klingelte, er drehte sich um und sprang mit einer entschuldigenden Geste zur Seite. Er war groß, blond, hatte unglaublich helle Augen und eine wunderbare Art, sie anzugrinsen. »Sorry!« rief er, und sie drehte sich noch einmal nach ihm um und grinste auch. »Aufpassen, schöner Mann!« rief sie.
    Bei der Post stellte sie ihr schweres Rad ab und ging mit den leeren Taschen hinein, wo Hugo seinen Erdbeerquark löffelte. Sie machte die Abrechnung, ordnete die Einschreibzettel in eine Mappe, sortierte für den nächsten Tag ein bißchen vor und nahm sich die ZEIT und den STERN mit nach Hause, es reichte, wenn die pensionierte Lehrerin aus der Umbachstraße die erst am nächsten Tag, am Freitag, bekam. Dann sagte sie »Macht’s gut, ihr beiden Deppen« zu Hugo und Walter, Hugo sagte: »Wir lieben dich!« und Walter sagte: »Irgendwann verhau ich dich oder ich treib’s mit dir auf dem Gemeinschaftsklo«, und sie dachte: nein, du eben nicht, und ging hinaus. Es war kurz nach elf, wenn sie sich beeilte, konnte sie noch in die Universität fahren und um zwölf die Flaubert-Vorlesung hören. Flauberts grausam objektive Beschreibung der Sinnlosigkeit von Emma Bovarys romantischer Sentimentalität tat ihr gut.
    Er stand draußen. Er lehnte an der Wand, grinste und rauchte, und Franka dachte: Der ist es.
    Sie ging einfach auf ihn zu, nahm die Zigarette, die zwischen seinen Lippen hing, tat einen tiefen Zug und schob sie wieder zurück an ihren Platz.
    »Die Christel von der Post?« fragte er. »Warum kenn ich dich nicht, ich dachte immer, ich kenne alle hübschen Frauen.«
    »Vielleicht bist du nicht in meinem Bezirk«, sagte Franka, und das Herz klopfte ihr so stark im Hals, daß sie Angst hatte, er könnte es sehen.
    »Fliegerhorst«, sagte er, »ich bin einer von diesen wundervollen, attraktiven Piloten.«
    Später erfuhr sie, daß er einfacher Feldwebel war, aber er machte sich bei den Frauen gern interessant damit, daß er Pilot sei. Er war Schlosser aus Ulm, Zeitsoldat, fünfunddreißig Jahre alt, und er hatte noch ein knappes Jahr im Fliegerhorst abzusitzen.
    »Fliegerhorst«, sagte sie, »aha. Da schicken sie das Mädel nicht hin. Zu gefährlich bei euch Jungens.«
    »Ich bin Heinrich«, sagte er und gab ihr die Hand. »Franka«, sagte sie, und er fragte: »Und du bist wirklich Briefträgerin?«
    »Nein«, sagte sie, »Studentin«, und er lachte.
    »Ach, die süßen Studentinnen«, sagte er, »immer so gescheit, aber keine Ahnung vom wirklichen Leben.«
    »Was ist das, das wirkliche Leben?« fragte Franka. »Zeig es mir, wenn du es kennst.«
    Heinrich lachte, trat die Zigarette aus und hakte sie unter, als wären sie ein altvertrautes Paar.
    »Was machst du am Wochenende?« fragte er. Und Franka sagte: »Da bin ich mit dir zusammen und du erklärst mir das wirkliche Leben.«
    Er blieb stehen und grinste. »Sonst ziert ihr Studentinnen euch doch immer so«, sagte er, »heute scheint ja mein Tag zu sein. Also gut: ich fahre am Samstag nach Landsberg, da heiratet ein Freund von mir, große Fete. Willst du mit?«
    Und ob sie wollte. Sie wäre am liebsten sofort gefahren, gleich jetzt, wollte seinen warmen, festen, so männlichen Arm nicht mehr loslassen. Aber sie waren vor ihrem Haus angekommen.
    »Hier wohne ich«, sagte sie. »Du mußt bei Seehuber klingeln.«
    »Ich werde hupen«, sagte er, »so.«
    Und er machte das Hupgeräusch nach, mit dem nervöse Italiener in ihren kleinen Fiats durch die Straßen brausen. Dann beugte er sich hinunter und küßte Franka, und das war nicht der Kuß eines Jünglings. Das war der Kuß eines Mannes, der wußte, was er wollte. Ein fester, fordernder, kurzer, aber sehr eindeutiger Kuß. Franka hatte weiche Knie.
    »Zeit wie heute?« fragte er, und sie nickte: wie heute. Warum nicht heute? Wie sollte sie es aushalten bis Samstag, jetzt, wo endlich so nah gerückt war, was sie seit Jahren ersehnte?
    Er ging, und sie hatte nicht einmal den Mut, ihm nachzuschauen. Sie setzte sich im Hausflur auf die Treppe und wartete, bis ihr Atem sich beruhigt hatte, ehe sie nach oben in ihr möbliertes Zimmer ging.
    In der Nacht von Freitag auf Samstag konnte sie nicht schlafen. Sie badete (einmal in der Woche durfte sie Frau Seehubers Badewanne benutzen), sie cremte sich am ganzen Körper ein, schnitt

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