Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Er starb früh am Morgen, noch bevor man einen schwarzen von einem weißen Faden hätte unterscheiden können. Die Gebete des Priesters verebbten; er benetzte sich die Lippen und schluckte seine Spucke hinunter. Der Arzt an seiner Seite hatte sich nicht bewegt, seitdem der Pulsschlag unter seinen Fingerspitzen vergangen war. Sturheit allein hatte seinen Patienten zuletzt am Leben erhalten; am Ende war sein Wille einem Gerinnsel erlegen. Auf dem gekreuzten Arm des Toten lag eine fleckige Hand. Sie wich zurück, um ein Kruzifix auf die nackte Brust zu legen. Viel zu groß, dachte der Arzt, ausgesprochen katholisch, so barock wie der vernarbte Oberkörper des Verstorbenen. Die Witwe stand dem Arzt gegenüber, auf der anderen Seite des Bettes. Er traute sich nicht, ihr in die Augen zu blicken. Sie wandte sich ab, ruhig bewegte sie sich zum Schreibtisch, setzte sich hin und begann etwas zu schreiben. Der Arzt sah, wie der Priester das Ölfläschchen einsteckte, und er verstand dies als Fanal, die Spritzen und die elektrische Batterie wegzupacken. Es war eine lange Nacht gewesen; er würde sich eine neue Anstellung suchen müssen. Das war sehr bedauerlich, denn er hatte diesen Patienten gemocht, und er hatte es genossen, in seiner Villa leben zu dürfen, hoch über der Stadt, mit Blick auf die Bucht und weit hinaus aufs Mittelmeer. Er fühlte, wie er errötete und wurde darüber noch röter. Er wandte sich von dem Toten ab. Der Priester, um einige Jahre jünger als der Arzt, blickte verstohlen im Zimmer umher. Eine Karte des afrikanischen Kontinents auf der einen Wand, zu beiden Seiten von Bücherregalen eingeengt. Das offene Fenster, es beunruhigte ihn, so wie ihn in diesem Moment alles beunruhigte. Die huschenden Geräusche erinnerten ihn an andere schlaflose Nächte. Die Zeichnung zu seiner Linken, eine Armeslänge entfernt, schön und unverständlich, hatte ihn vom ersten Anblick an verunsichert. Sie erinnerte ihn daran, daß dieser Engländer sich in gottlosen Gegenden herumgetrieben hatte, die nur von Ahnungslosenund Übermütigen aufgesucht wurden. Sein Starrsinn war berüchtigt. Viel mehr wußte der Priester nicht über ihn. Der Bischof hatte sich wieder einmal aus einer unangenehmen Aufgabe herausgewunden. Es war nicht das erste Mal gewesen, daß der Priester die Salbung eines Unbekannten hatte vornehmen müssen. Vertraue deinem gesunden Menschenverstand, das war alles, was der Bischof ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Seltsamer Rat. Er hatte keine Zeit gehabt, sich zurechtzufinden. Er war von der Ehefrau überrumpelt worden. Sie hatte ihn gedrängt, sie hatte das Sakrament für den Sterbenden eingefordert, als sei der Priester es ihr schuldig. Er hatte sich ihrem Willen gebeugt und bereute es bereits. Sie stand an der offenen Tür, übergab dem Arzt einen Umschlag und redete auf ihn ein. Sollte er etwas sagen? Der Priester nahm ihren leisen, aber festen Dank entgegen – was sollte er sagen? – und mit dem Dank die unausgesprochene Aufforderung zu gehen. Er roch ihren Schweiß und schwieg. Im Vestibül reichte sie ihm den Mantel, die Hand. Er wandte sich ab, blieb stehen, er konnte nicht so belastet in die Nacht hinausgehen. Er drehte sich mit einem Ruck zu ihr um.
– Signora …
– Sie verzeihen, wenn ich Sie nicht zur Tür begleite?
– Es war falsch. Es war ein Fehler.
– Nein!
– Ich muß es melden, dem Bischof.
– Es war sein letzter Wille. Sie mußten ihn achten. Entschuldigen Sie mich, Vater. Ich habe viel zu tun. Ihre Sorgen sind unbegründet. Der Bischof weiß Bescheid.
– Sie mögen sich sicher sein, Signora, aber mir fehlt Ihre Sicherheit.
– Bitte beten Sie für das Heil seiner Seele, das wird für uns alle das beste sein. Auf Wiedersehen, Vater.
Zwei Tage verbrachte sie an seinem Totenbett, in Gebeten und Zwiegesprächen, gelegentlich gestört von jenen, die ihm die letzte Ehre zu erweisen wünschten. Am dritten Tag weckte sie die Hausgehilfin früher als gewöhnlich. Die Hausgehilfin warf sich einenSchal über das Schlafgewand. Sie tappte durch die wollene Nacht zum Schuppen, in dem der Gärtner schlief. Er erwiderte ihr Rufen erst, als sie mit einer Schaufel gegen seine Tür hieb. Anna, rief er, ist wieder etwas Schlimmes passiert? Die Herrin braucht dich, antwortete sie, und fügte hinzu: Sofort.
– Hast du schon Brennholz gesammelt, Massimo?
– Ja, Signora, letzte Woche, als es kalt wurde, wir haben genug …
– Ich möchte, daß du ein Feuer machst.
– Ja,
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