Der Wettlauf zum Suedpol
begrüßten, die als langweilig empfunden wurde.
»Schrecklich, schrecklich!«, soll Amundsen ausgerufen haben, als ihn die Nachricht von Scotts Tod erreichte, während er mit seinem Polarvortrag gerade durch die Vereinigten Staaten tourte. Noch konnte er nicht wissen, dass ihn der so tragisch Gescheiterte in Sachen weltweiter Popularität bald weit hinter sich lassen sollte. Zwar wäre es übertrieben zu behaupten, dass Amundsen nach seinem Triumph am Pol kein Bein mehr auf den Boden bekommen habe, doch das Glück, dass ihm bis dahin stets freundlich zugelächelt hatte, entzog sich jetzt immer häufiger. Noch im Frühjahr 1913 sagte er die Nordreise der Fram endgültig ab, was das Verhältnis zu Nansen bis an die Grenze der Belastbarkeit verschlechterte. Er machte ein Vermögen mit Schiffsaktien und investierte das Geld in ein eigenes Forschungsschiff, doch die Fahrt der Maud durch das Nordpolarmeer wurde zu einer unglaublichen Reihung von Pleiten, Pech und Pannen. Er häufte bald wieder riesige Schuldenberge an und zerstritt sich sogar mit seinem Bruder Leon. In den Zwanzigerjahren fesselten ihn die Möglichkeiten der Fliegerei als Vehikel für die Polarforschung. Mit
einem Flugboot versuchte er, zum Nordpol zu gelangen; später überflog er ihn mit einem Luftschiff. Am Nachmittag des 18. Juni 1928 startete er im nordnorwegischen Tromsø mit einem Latham-Doppeldecker, um den mit seinem Luftschiff in der Arktis verschollenen Italiener Umberto Nobile zu suchen. Wenig später brach die Funkverbindung ab – es war das letzte Lebenszeichen von Roald Amundsen. Von seinem Flugzeug wurden nur ein Schwimmer und ein abgerissener Benzintank gefunden, der Rest blieb verschollen – genau wie der Polarforscher selbst, der wohl im kalten Nordpolarmeer umgekommen war.
Auf den toten Helden Scott hingegen regnete im Übermaß herab, was ihm zu Lebzeiten versagt geblieben war. Seine Witwe erhielt den Titel und die Ansprüche einer Lady Scott. Es wurde ein Hilfsfonds eingerichtet, der in kurzer Zeit so viele Spendengelder zusammenbrachte, dass er den Hinterbliebenen der Polreisenden ein auskömmliches Leben sicherte und obendrein noch ein nach Scott benanntes Polarforschungsinstitut an der Universität Cambridge ins Leben gerufen werden konnte. Bücher, Filme und Theaterstücke feierten den Mythos des unerschrockenen Polarhelden, des Kämpfers für die Wissenschaft und des Gentlemans, der die typisch britischen Tugenden wie Fairness und Edelmut verkörpert habe. Jahrzehntelang bekam dieses Glorienbild kaum einen Kratzer, ehe Ende der 1970er-Jahre Roland Huntford Scotts Leben komplett umdeutete und ihn zu einem »heroischen Stümper« degradierte.
Beide Zueignungen – Held wie Versager – werden Scott nicht gerecht. Ebenso wie die Entscheidung Amundsens für Skitouren, Hunde und Pelzkleidung in der norwegischen Geschichte der Polarexpeditionen wurzelte, stand Scott in der Tradition der britischen Polarforschung und gab darum Fußmärschen, Ponys oder Segeltuchkleidung den Vorzug. Amundsen war vor allem deshalb erfolgreich, weil er seine Kräfte ganz klar auf das Ziel Südpol konzentrierte, während Scott und seine Leute nebenbei auch noch wissenschaftliche Ergebnisse mit nach Hause bringen mussten und sich deshalb oftmals im Klein-Klein verzettelten. Außerdem hatte Amundsen tatsächlich an vielen Stellen einfach Glück, wo Scott nur sein Pech beklagen konnte. Doch schon Scotts eigene Rechtfertigungsbotschaft an die Öffentlichkeit strotzte vor so vielen »Wenn« und »Aber« (der Verlust der Ponys im März 1911, das Wetter auf der Hinreise, der weiche Schnee, das »Versagen«
von Evans, die Temperaturen auf der Rückreise, die Erkrankung von Oates, der Brennstoffmangel), dass sich allein angesichts dieser ganzen Punkte die Frage stellt, ob nicht grundsätzlich etwas schiefgelaufen war.
Scotts Hauptfehler war es sicherlich, Shackleton zu imitieren und auf Ponys als Haupttransportmittel zu setzen. Alle weiteren Probleme resultierten aus dieser grundsätzlichen Entscheidung. Allerdings ließ sie sich, einmal in der Antarktis angekommen, nicht mehr rückgängig machen. Mit seinen gut 30 mitgebrachten Hunden hätte Scott selbst beim besten Willen nicht zum Pol gelangen können. Also musste er – vielleicht wider besseres Wissen – auf die Ponys setzen.
Darüber hinaus verhinderte die Geheimhaltungstaktik Amundsens, dass sich Scott von Anfang an auf die Herausforderung einstellen konnte. Eine solche Vorgehensweise war damals auf
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