Der Wettlauf zum Suedpol
bereit ist… , dass wir uns nicht selbst retten und Sühne leisten müssen – das ist alles getan. Alles ist für uns bereit.« Bowers schrieb an seine Mutter: »Ich vertraue weiter auf Ihn und die überreichliche Gnade meines Herrn und Erlösers, so wie Du es mich im Glauben gelehrt hast. Unter Seinem Schutz verlasse ich Dich.«
Auch Scott verfasste jetzt Abschiedsbriefe, doch dem Agnostiker fehlte die tröstliche Glaubensgewissheit seiner Gefährten. Bis auf die warmherzigen Briefe an seine Frau, seine Mutter und die Angehörigen seiner letzten beiden Gefährten trugen sie deshalb den Charakter von Rechtfertigungsschriften. Er sei für diese Aufgabe nicht zu alt gewesen, die Jüngeren seien vor ihm untergegangen, so Scott. Die Reise sei die größte gewesen, die sich in der Geschichte finden ließe, und nichts als »außergewöhnliches Pech« habe die Heimkehr verhindert. Man wäre durchgekommen, hätte man die Kranken im Stich gelassen. Doch gebe man seinen Landsleuten ein gutes Beispiel, weil man allen Misslichkeiten wie echte Männer getrotzt habe. »Ich bedaure diese Reise nicht«, schrieb er in einer
»Botschaft für die Öffentlichkeit«. »Sie hat gezeigt, dass Engländer Nöte erdulden, einander helfen und dem Tod begegnen können, mit einer Stärke, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. Wir gingen Risiken ein; wir wussten, dass wir sie eingingen. Die Dinge haben sich gegen uns verschworen, und wir haben deshalb keine Ursache, uns zu beschweren, sondern beugen uns dem Willen der Vorsehung, die noch immer alles zum Besten fügt.… Hätten wir überlebt, so hätte ich eine Geschichte erzählen können von der Zähigkeit, der Ausdauer und dem Mut meiner Gefährten, die das Herz eines jeden Engländers gerührt hätte. Nun aber müssen diese unbearbeiteten Notizen und unsere toten Körper diese Geschichte erzählen.«
Abb 217
Scotts letzte Worte aus seinem Tagebuch, bevor er für immer einschlief.
Am Donnerstag, dem 29. März, zehn Tage nach ihrer Ankunft an dieser Stelle, raffte sich Robert Falcon Scott noch einmal auf und schrieb die letzten Zeilen in sein Tagebuch: »Seit dem 21. hat es unaufhörlich aus Südwest gestürmt. Wir hatten am 20. noch genug Spiritus, um je zwei Tassen Tee zu machen und Nahrung für zwei Tage. Jeden Tag waren wir bereit, zu unserem nur noch elf Meilen entfernten Depot zu marschieren, aber draußen vor dem Zelt ist die ganze Landschaft ein wirbelndes Schneegestöber. Wir können jetzt nicht mehr auf Besserung hoffen. Aber wir werden bis zum Ende aushalten; aber wir werden natürlich schwächer, und der Tod kann nicht mehr fern sein. Es ist ein Jammer, aber ich glaube nicht, dass ich noch weiterschreiben kann. R. Scott.« Darunter kritzelte er mit letzter Kraft: »Um Gottes willen, sorgt für unsere Hinterbliebenen! « Auf der ersten Seite des Tagebuchhefts stand die Bitte: »Schickt dieses Tagebuch meiner Frau! R. Scott.« Das Wort »Frau« war durchgestrichen und »Witwe« darübergeschrieben.
Traurige Gewissheit
Noch wusste die Welt nichts von dem bitteren Tod der drei Männer auf der Eisbarriere. Die Terra Nova kehrte am 1. April 1912 nach Neuseeland zurück und brachte keine neuen Nachrichten von Scott. Noch rechnete niemand mit dem Schlimmsten, doch es war nun zumindest klar, dass die britische Expedition den Wettlauf zum Pol verloren hatte. Erneut schlugen in Großbritannien die Wellen hoch. Der norwegische Gesandte in London berichtete Nansen schriftlich von der großen Bitterkeit gegenüber Amundsen, trotz aller offiziellen Anerkennung. Selbst John Scott Keltie, Sekretär der Royal Geographical Society, habe von einem »schmutzigen Trick« Amundsens gesprochen und ausdrücklich bedauert, dass der Pol zuerst von einem »Profi« erobert worden sei.
Dieser Profi war inzwischen fleißig dabei, seinen frischen Ruhm als Bezwinger des Südpols zu vermehren. Während die Fram samt Besatzung Ende März Kurs nach Argentinien nahm, brach Amundsen zu einer Vortragsreise durch Australien und Neuseeland auf. Erst im April reiste er seinem Schiff inkognito hinterher und traf in Buenos Aires erstmals auf seinen Gönner Don Pedro Christophersen. Ein großes Fest in der norwegischen Kolonie bildete gewissermaßen den Abschluss des »Abstechers« der Fram -Expedition zum Südpol. Dann wurde die Mannschaft auf einem Passagierdampfer nach Hause geschickt und fuhr nach ihrer Ankunft in der Heimat im Juli in einem mehrwöchigen Triumphzug durch das ganze Land. Amundsen selbst zog
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