Der Wettlauf zwischen dem Zwerg und der Prinzessin (Die Märchen um Zwergenkönig Jetts Söhne)
Schreck wie gelähmt starrten sämtliche in der Nähe stehenden Personen auf die Prinzessin, die wie eine Furie mit dem Blumenstrauß auf ihren Bräutigam einschlug. Lediglich Prinz Hanno, der die ganze Sache hatte kommen sehen, bog sich lauthals lachend vor Vergnügen. Endlich gelang es zwei Männern der Schlosswache, die Prinzessin zu bändigen. Sie wurde vor König Rainer geführt, der sie schockiert fragte: "Würdest du mir bitte diesen absolut unangebrachten Ausbruch erklären?"
"Frag doch diesen Mistkerl", fauchte Diana und deutete dem Kopf auf Apos, weil die Wachmänner sie an den Armen festhielten. Der Kronprinz klopfte sich gerade Blütenblätter und Blumenstengel mit einer Hingabe aus seinen Kleidern, als sei ihm nichts wichtiger als die Wiederherstellung seines Äußeren. Er wagte nicht aufzusehen.
"Ich erwarte aber von dir eine Antwort", zischte der König.
"Darf ich einen Vorschlag machen?", vernahm König Rainer die imposante Stimme König Jetts.
"Selbstverständlich!"
"Lasst mich zuerst mit meinem Sohn sprechen, bevor ihr weiter eure Tochter befragt."
"Wie ihr wünscht, König Jett."
"Apos!", donnerte der Zwergenkönig. Seine Stimme ließ jede Person in seiner Nähe zusammenzucken. Der Kronprinz kniete vor seinem Vater nieder, den Kopf gebeugt.
"Mein König!"
Jett legte seine rechte Hand auf den Kopf seines Sohnes. Sein Gesicht nahm einen konzentrierten Ausdruck an. Es schien den Umstehenden, als würden die beiden Männer miteinander eine stumme Zwiesprache halten. Nach einer Weile entließ Jett seinen Ältesten und rief seinen Jüngsten zu sich. Auch Hanno kniete sich demütig vor ihm nieder. "Bitte nicht, Vater", wagte er einzuwenden, doch Jett ließ sich nicht beirren. Er verfuhr mit Hanno, wie er es mit Apos getan hatte.
"So ist das also", stellte Jett fest. Er scheuchte seinen Jüngsten fort und wandte sich an König Rainer. "Eure Tochter trifft keine Schuld, verehrter König. Ihre Reaktion auf Apos` Erscheinen war durchaus verständlich. Lassen wir es dabei bewenden."
Rainer war verwirrt. Auf welche Weise hatte Jett mit seinen Söhnen gesprochen? Man hatte keine Worte vernommen. Fragend blickte er zu Gwyneth, die Mal wieder ein kluges Gesicht machte und alles zu wissen schien. Sie nickte ihm ermutigend zu. Sein Blick schweifte zu Hanno, der heftig errötete, als er die Aufmerksamkeit seines Liebhabers auf sich gerichtet wusste. Irgendetwas schien dem Jüngling furchtbar peinlich zu sein. König Rainer verstand gar nichts. So musste er sich auf Gwyneth` Urteilsvermögen verlassen. "Also gut", sagte er. "Fahren wir mit dem Programm fort. Ich hoffe, es gibt keine weiteren unangenehmen Überraschungen."
Nach und nach entspannte sich die Lage wieder. Diana bereitete sich im Kreis der Hofdamen und Schwestern auf das Rennen vor, Apos tat im Kreis der Seinen dasselbe. Beide Gruppen wurden von festlich geschmückten Kutschen zur alten Burgruine gefahren, die südlich vom Schloss lag und den Startpunkt des Rennens darstellte. Derweil widmete sich König Jett in der Loge, die den beiden Königspaaren als Aussichtspunkt dienen sollte, seiner Frau. Anita wirkte blass und angegriffen.
"Seid ihr krank, Königin?", fragte Gwyneth und reichte ihr zuvorkommend ein Glas kühlen Weißwein.
"Nein!", entgegnete Jett statt ihrer. "Meine Gemahlin war seit vierhundert Jahren nicht mehr unter Menschen. Sie fühlt sich isoliert, einsam und unsicher."
"Jett!", beschwerte sich Anita.
"Aber liebste Freundin. Sie sind hier unter Freunden", versicherte Gwyneth der Königin. "Lasst uns einen Spaziergang machen, und es wird euch gleich besser gehen."
So geschah es. Unter der freundlichen Fürsorge von Gwyneth lebte Anita merklich auf. Bald plauderten die beiden Frauen wie alte Freundinnen. Sie kamen auf das Verhör zu sprechen, das König Jett mit seinen beiden Söhnen durchgeführt hatte.
"War es Telepathie?", fragte Gwyneth.
"Ja!"
"Haben alle Zwerge solche Fähigkeiten?"
"Nein! Ich kenne nur Jett und zwei drei andere sehr mächtige Personen, die in der Lage sind, in die Gedanken anderer einzudringen."
"Wie ist das Leben bei den Zwergen?", erkundigte sich Gwyneth. Anita lächelte sie an. "Ich habe es im Laufe der Jahre zu schätzen gelernt."
"Wird meine Tochter ihre Familie besuchen dürfen?"
"Aber natürlich. Diana wird doch keine Gefangene sein."
"Ich frage nur, weil ihr offensichtlich so ein zurückgezogenes Leben führt."
Der Zwergenkönigin rannen Tränen über die Wangen. "Es ist doch schon lange niemand mehr da, den ich
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