Der Widersacher
Boschs Zutun – ganz aus dem Polizeidienst gedrängt worden. Derart düpiert, hatte er für den Stadtrat kandidiert, war gewählt worden und hatte es sich fortan zur Aufgabe gemacht, sich an der Strafverfolgungsbehörde zu rächen, für die er sich so viele Jahre abgerackert hatte. Dabei ging er sogar so weit, gegen jede Gehaltserhöhung und Personalerweiterung bei der Polizei zu stimmen. Zugleich war er immer der Erste, der bei jeder Unregelmäßigkeit und jedem vermeintlichen Verstoß seitens eines Polizisten nach einer unabhängigen Untersuchung und nach einer Aufarbeitung des Vorfalls rief. Den schwersten Schlag hatte er dem LAPD jedoch vor einem Jahr beigebracht, als er mit allem Nachdruck die Kostensenkungsklage befürwortet hatte, die das LAPD -Budget für die Überstundenvergütung um 100 Millionen Dollar beschnitt. Das tat jedem Polizisten, egal welchen Rangs, weh.
Bei den Wahlen im November kandidierte Irving erneut für den Stadtrat, wobei sein Gegenkandidat nur auf dem Papier existierte. Ein junger Geschäftsmann aus der Westside hoffte, sich gegen den in die Jahre gekommenen Politikveteranen Irving als jugendlicher Außenseiter profilieren zu können, konnte damit aber bei den Wählern nicht punkten. Irvings Wiederwahl stand so gut wie fest, ohne dass er auch nur ein Wahlkampfbüro eröffnen musste.
Bei einem mit allen Wassern gewaschenen Politiker wie Irving stand für Bosch außer Frage, dass der gegenwärtige Polizeichef irgendeine Art von Deal mit ihm ausgehandelt hatte. Ein Quidproquo. Bosch würde sicher nicht ohne Gegenleistung für den Fall zur Verfügung gestellt. Obwohl sich Bosch in Sachen Politik nie für besonders hellsichtig gehalten hatte, war er sicher, bald herauszufinden, was dahintersteckte.
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4
D as Chateau Marmont thronte über dem Sunset Strip wie eine mittelalterliche Burg mit einem Neonschild davor. Der kultige Bau vor der Kulisse der Hollywood Hills zog schon seit Jahrzehnten Filmstars, Schriftsteller, Rock ’n’ Roller und ihre Entouragen an. Bosch war schon einige Male dienstlich in dem Hotel gewesen, um zu ermitteln und nach Zeugen und Verdächtigen zu suchen. Er kannte das Foyer mit seiner Holzbalkendecke, den heckengesäumten Vorplatz und die Lage der geräumigen Suiten. Andere Hotels boten ein hohes Maß an Komfort und Service. Das Chateau bot Alte-Welt-Charme und Desinteresse am Tun und Treiben seiner Gäste. In den meisten Hotels gab es in allen öffentlich zugänglichen Bereichen, ob nun versteckt oder offen, Überwachungskameras. Im Chateau gab es davon nur wenige. Das Besondere, was das Chateau zu bieten hatte und was es in keinem anderen Hotel am Strip auch nur annäherungsweise gab, war dieses hohe Maß an Privatsphäre. Hinter seinen Mauern und hohen Hecken befand sich eine abgeschottete Welt, in der diejenigen, die nicht beobachtet werden wollten, nicht beobachtet wurden. Es sei denn, es ging irgendetwas schief oder privates Verhalten wurde öffentlich.
Das Hotel erhob sich unmittelbar hinter dem Laurel Canyon Boulevard über den zahllosen Reklametafeln, die den Sunset Strip säumten. Nachts wies ein schlichtes Neonschild auf das Hotel hin, für die Verhältnisse des Sunset Strip sehr dezent und bei Tag sogar noch dezenter, da das Licht dann ausgeschaltet war. Eigentlich lag das Hotel an der Marmont Lane, die vom Sunset abging und sich am Hotel vorbei die Hügel hinaufschlängelte. Im Näherkommen sah Bosch, dass die Marmont Lane mit provisorischen Barrikaden gesperrt war. An der Hecke vor dem Hotel standen zwei Streifenwagen und zwei Fernsehübertragungswagen. Daraus schloss Bosch, dass der Tote auf der West- oder Rückseite des Hotels gefunden worden war. Er parkte hinter einem der schwarz-weißen Streifenwagen.
»Die Geier sind schon da.« Chu nickte in Richtung der Übertragungswagen.
In Los Angeles war es unmöglich, ein Geheimnis unter Verschluss zu halten, vor allem eins wie dieses. Es rief immer ein Nachbar oder Hotelgast oder Streifenpolizist bei der Presse an, oder jemand aus der Rechtsmedizin, der bei einer blonden Fernsehreporterin Eindruck schinden wollte. Neuigkeiten verbreiteten sich schnell.
Bosch und Chu stiegen aus dem Auto und gingen auf die Absperrung zu. Bosch winkte einen der uniformierten Streifenpolizisten von den zwei Kamerateams fort, um mit ihm reden zu können, ohne dass jemand von den Medien mithörte.
»Wo ist es?«, fragte Bosch.
Der Cop sah aus, als hätte er mindestens zehn Dienstjahre auf dem Buckel. Auf dem
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