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Der Widersacher

Der Widersacher

Titel: Der Widersacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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neuen, die infolge des Aufpralls auf dem Gehsteig entstanden waren, war viel Blut aus seinem Körper entwichen. Sein Schädel war zerschmettert, Kopf und Gesicht waren wie von einem Zerrspiegel grotesk entstellt. Sein Brustkorb war eingedrückt, und es hatten sich mehrere gebrochene Rippen- und Schlüsselbeinknochen durch die Haut gebohrt.
    Bosch studierte die Leiche, ohne mit der Wimper zu zucken, als suchte er auf einer Leinwand, die alles andere als gewöhnlich war, das Ungewöhnliche. An den Innenseiten der Arme hielt er nach Nadeleinstichen Ausschau, unter den Fingernägeln nach Fremdablagerungen.
    »Ich bin erst später dazugestoßen«, sagte er. »Irgendwas Wichtiges, was ich wissen sollte?«
    »Ich glaube, er ist zuerst mit dem Kopf aufgeschlagen«, sagte Van Atta. »Das ist ziemlich ungewöhnlich, selbst bei einem Selbstmord. Und dann solltest du dir vielleicht das noch ansehen.« Er deutete auf den rechten und dann auf den linken Arm des Opfers; beide waren in der Blutlache vom Körper abgespreizt. »In beiden Armen sind sämtliche Knochen gebrochen, Harry. Eigentlich sogar zerschmettert. Aber es ist kein einziger offener Bruch darunter, nicht ein Knochen, der sich durch die Haut gebohrt hat.«
    »Und was heißt das?«
    »Es deutet auf eins von zwei Extremen hin. Das eine wäre, es war ihm so ernst mit dem Selbstmord, dass er nicht mal versucht hat, den Aufprall mit den Händen abzubremsen. Sonst hätte er nämlich bestimmt mehrere offene Brüche. Hat er aber nicht.«
    »Und das andere Extrem?«
    »Dass er den Aufprall deshalb nicht mit den Armen abzumildern versucht hat, weil er bewusstlos war, als er auf dem Boden aufgeschlagen ist.«
    »Das hieße, er wurde runtergestoßen.«
    »Ja, beziehungsweise regelrecht fallen gelassen. Wir werden ein paar Versuchsreihen machen müssen, aber wie es aussieht, ist er senkrecht nach unten gefallen. Wäre er, wie du meinst, gestoßen worden, wäre er vermutlich mindestens einen Meter weiter von der Hauswand entfernt gelandet.«
    »Verstehe. Wie sieht es mit dem Todeszeitpunkt aus?«
    »Wir haben die Lebertemperatur gemessen und schon mal erste Berechnungen angestellt. Das ist jetzt nicht offiziell, aber wir schätzen, zwischen zwei und fünf.«
    »Ein Zeitfenster von drei Stunden?«
    »Wir werden es noch stärker eingrenzen, aber das ist nun mal keine sehr exakte Wissenschaft, Harry. Sagen wir meinetwegen zwischen zwei und vier. Zufrieden?«
    »Nur wenn die Angabe verlässlich ist. Wenn es zwischen zwei und vier passiert ist, hätte er hier mindestens zwei Stunden auf dem Gehsteig gelegen, ohne dass ihn jemand gesehen hat.«
    Van Atta zuckte mit den Achseln. »Könnte ohne weiteres sein. Können wir ihn jetzt wegbringen?«
    »Wenn das alles ist, was du bisher für mich hast, ja, dann könnt ihr ihn wegschaffen.«
    Wenige Minuten später ging Bosch die Zufahrt zur Garage des Hotels hinauf. Auf dem Kopfsteinpflaster stand mit laufendem Motor ein schwarzer Lincoln Town Car mit einem Kennzeichen der Stadtverwaltung. Stadtrat Irvings Auto. Als Bosch daran vorbeikam, sah er am Steuer einen jungen Chauffeur sitzen und auf dem Beifahrersitz einen älteren Mann in einem Anzug. Der Rücksitz schien leer zu sein, aber durch die getönte Scheibe war das schwer zu erkennen.
    Bosch stieg die Treppe zur nächsten Ebene hinauf, auf der sich Rezeption und Foyer befanden.
    Die meisten Leute, die im Chateau abstiegen, waren Nachtgeschöpfe. Bis auf Irvin Irving, der, das Handy am Ohr, allein auf einer Couch saß, war das Foyer leer. Als er Bosch entdeckte, beendete er das Telefongespräch und deutete auf die Couch ihm gegenüber. Bosch hatte gehofft, nur kurz stehen bleiben zu können und den Schwung nicht zu verlieren, aber das war eine dieser Gelegenheiten, bei denen er sich zur Rücksichtnahme verpflichtet fühlte. Er zog sein Notizbuch aus der Gesäßtasche und setzte sich.
    »Detective Bosch«, sagte Irving. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
    »Ich hatte keine andere Wahl, Herr Stadtrat.«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Zuerst möchte ich Ihnen mein Beileid über den Tod Ihres Sohns ausdrücken. Zweitens wüsste ich gern, warum Sie dafür mich haben wollen.«
    Irving nickte und blickte aus einem der hohen Fenster des Foyers. Dahinter war ein Gartenrestaurant mit Palmen, Sonnenschirmen und Heizstrahlern. Es war bis auf das Personal ebenfalls leer.
    »Vor Mittag scheint hier niemand aufzustehen«, bemerkte Irving.
    Bosch erwiderte nichts. Er wartete auf die Antwort auf seine Frage.

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