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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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durch die Adern, dass sie von der Reibung heißliefen.
    »Alle raus!«, sagte ich mit einer Stimme, die ich von mir noch nicht kannte. Nur Sekunden später hatte ich den Bunker für mich allein.
    Ohne bewusst die Beine bewegt zu haben, war ich über der Kiste. Mit etwas wie unendlicher Verwunderung sah ich meine Hände unendlich langsam und vorsichtig den Deckel lüften, betrachtete dann mit nie erlebter Faszination die schlanke, rote, mit vielerlei nützlichen Informationen und Instruktionen beschriftete Stahlflasche eines Feuerlöschers.
    Der durchsichtige Faden verschwand unter dem zum Auslösen des Löschers gedachten rotweißen Scherengriff.
    Schweiß floss frei meinen Rücken hinunter, als mir aufging, dass ich nicht weiterwusste.
    Sachte legte sich eine bändchenbehangene Hand auf meinen linken Arm. Albert war an meiner Seite aufgetaucht, spähte in die Kiste, und wir tauschten einen Blick voller Beklemmung. Sachte griff er an mir vorbei, tastete den Scherengriff und den dazugehörenden Löschkopf ab und lüftete dann beides in einer Bewegung von mechanischer Präzision und Gleichmäßigkeit.
    Attrappen, beides, Kopf und Griff.
    Und dann starrten wir zusammen auf einen kleinen Drahtstift, und ich wollte nur noch rennen und nie wieder anhalten. Der Drahtstift, an dem der Faden endete, hing nur noch mit einem halben Millimeterchen in dem einen von zwei Paar ineinandergreifenden Formblechen, in den Bohrungen darin, um genau zu sein, und hielt mit diesem halben Millimeterchen den von einer Handgranate entliehenen und oben auf den Feuerlöscherhals geschraubten Zündhebel am Hochschnacken ab.
    Meine Füße klebten am Boden. Meine Zunge am Gaumen, meine Augen am Drahtstift.
    Ein irres Zittern packte meine Linke, doch meine Rechte war die Ruhe selbst. Noch. Langsam spreizte sie die Finger, glitt, wie durch Öl, in die Kiste, legte Zeige- und Mittelfinger um den Hals der Bombe und presste dann den Daumen gegen den Abzugbügel, und zwar mit gerade so viel Kraft, dass Albert den Sicherungsstift ohne Mühe zurück durch beide Bohrungen drücken konnte. Dann nahmen wir beide unsere Hände aus der Kiste, nickten uns zu, und als ich das nächste Mal aufsah, blickten Scuzzi und Willy aus einem grauen Himmel auf mich hinab und fächelten mir feuchtkalte Luft zu. Grinsend.
    Und da traf es mich.
    »Ey!«, schrie ich und setzte mich auf. Packte Willy bei den - Ohren! Zwei davon! Und - Griff runter, zähl zähl, zähl - zehn! Zehn Finger, und keiner weniger! »Soll das heißen«, und ich packte ihn an der Gurgel, jetzt, »du hast gemeinsame Sache gemacht mit ...«
    »Lass ihn«, greinte eine weinerliche Stimme hinter mir.
    »Wir haben ihn zu dem Foto mit dem eingeknickten Finger gezwungen. Deliah hat die, die . Sachen aus der Pathologie besorgt.« Zweiundzwanzig blickte reuig und geständig.
    Deliah. Ah.
    Ich krabbelte auf die Füße. Hu! Wacklig. Heiko wollte mich wieder im Genick packen wie eine Katze ihr Junges, doch ich schüttelte ihn ab.
    Deliah. Sie stand an die Bunkerwand gelehnt, dicht neben Nagold, und rauchte mit runden Lippen. Beide blickten . abweisend.
    »Hast du ihm erzählt, wie oft wir miteinander geschlafen haben?«, fragte ich, weil ich es irgendwie musste. Beide blickten . unbehaglich.
    »Und hast du ihr erzählt, wie oft wir es miteinander getrieben haben?«, fragte Willy, an Nagold gerichtet, und der wurde flammend rot.
    Ich blickte Willy an und musste mich regelrecht zwingen, den Mund wieder zuzumachen.
    »Zu Anfang habe ich ein paar Mal versucht, hier rauszukommen, und sie haben mich jedes Mal verkloppt.
    Daraus ist dann ziemlich bald was . na ja, . was Sexuelles geworden, wenn du verstehst, was ich meine. Außerdem war mir so langweilig«, erklärte er, fast schon entschuldigend.
    »Was«, meldete sich der rotwangige Rekrut und blickte Willy geradezu flehend an, »was wird jetzt?« >Mit uns?< schwang, unausgesprochen, mit.
    »Och«, meinte unser hauseigener Don Juan, »am besten machst du dir keine Mühe, anzurufen oder vorbeizukommen. Wenn, dann melde ich mich.« Drehte sich um und ging.
    Sein Standardspruch. Die Dicke Wanda ist darüber ausgerastet, damals.
    Ein Moment perplexen Schweigens senkte sich über die unwirkliche Szene. Was nun?
    »Alle wieder da rein«, entschied ich. »Halt!«, stoppte ich Nagold vor der Türe. »Du nicht!«
    Deliah sah verängstigt drein, verstand nicht recht, Roth-Bichler, der die ganze Zeit nichts gesagt hatte, protestierte jetzt schwächlich, gab sich ahnungslos,

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