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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Carlos« gesehen, wo er trotz des lächerlichen Rüschenkragens einen heldenhaften Eindruck gemacht hatte. Der Mann, der jetzt einen Ring Fleischwurst auf den Grill legte, sah gar nicht wie ein international bekannter Bariton aus. Statt der Stiefel Rodrigos trug er hellgraue Slipper mit Kreppsohlen, in denen jeder Mann unerotisch gewirkt hätte.
    Ich hatte Antti die Scheidung angedroht, falls er jemals in solchen Tretern ankäme.
    »Ich habe an die zehn Jahre in Deutschland gearbeitet. Die dortigen Würste werden ja sehr gelobt, aber ab und zu hat mir die gute finnische Fleischwurst doch gefehlt«, sagte Holma.
    »Diese Vegetarierfamilie hier weiß nicht, was gut ist.«
    Riikka verzog das Gesicht, schaffte es aber nicht, missbilli-gend dreinzublicken, denn im selben Moment setzte Holma sich zu ihr und schlang liebevoll die Arme um sie. Ich merkte, dass Anne Merivaara den Blick abwandte, und fragte sie nach der Geschichte der Insel.
    Die Festung Rödskär, erzählte sie, war 1813 errichtet worden, bald nachdem Finnland unter russische Herrschaft gekommen war. Sie hatte sowohl der Küstenwache als auch der Marine als Stützpunkt gedient, und während des Krimkriegs waren auf diesem Nebenschauplatz einzelne Gefechte ausgetragen worden, ebenso später im finnischen Bürgerkrieg. Als die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg das Gebiet um Porkkala pachtete, mussten die finnischen Streitkräfte die Insel verlassen. Angeblich waren Anfang der fünfziger Jahre russische Truppen auf Rödskär stationiert gewesen. Seit der Rückgabe des Gebiets 1956 hatte die Insel im Besitz der finnischen Armee gestanden und war menschenleer gewesen, denn es herrschte striktes Landungsverbot.
    »Bewacht wurde die Insel allerdings nicht«, warf Antti ein.
    »Ich habe vor zwölf Jahren mit einem Freund zum ersten Mal hier angelegt. Wir hatten halb damit gerechnet, von einem Kugelhagel empfangen zu werden, aber hier gab es bloß Schwalben, sonst nichts. Rödskär kam mir damals vor wie eine Geisterinsel. Erzählt man sich nicht auch, dass es hier spukt?
    Irgendein russischer Offizier soll hier umgehen, oder?«
    Niemand antwortete, und Anne Merivaara wechselte das Gesprächsthema.
    »Die Spieße sind fertig. Wo bleibt denn Jiri? Und was will Mikke essen, hat er was gesagt?«
    »Der bekommt Wurst und Kartoffelsalat«, lächelte Tapio Holma. »Mögt ihr beiden was davon, oder seid ihr auch Vegetarier?«
    Wir erklärten, uns reiche der Whisky, von dem wir auch den anderen anboten. Holma sah Riikka zögernd an, bevor er annahm. Ihre Beziehung begann mich zu interessieren, denn Tapio Holma hätte altersmäßig Riikkas Vater sein können.
    »Gibt’s was zu spachteln?« Jiris grüner Schopf erinnerte jetzt noch stärker an Gras, da die Haare von der Sauna feucht waren.
    Mikke Sjöberg folgte ihm mit Flaschen und Gläsern. Die beiden Frauen tranken Wein, die Männer Bier, nur Jiri hielt sich an das grünliche, nach Kohlsaft aussehende Gebräu. Antti unterhielt sich mit Mikke über das Segeln, Riikka erkundigte sich eher aus Höflichkeit als aus echtem Interesse nach Iida. Jiri antwortete einsilbig, wenn man ihn ansprach.
    Es war bereits dunkel geworden, die Sterne standen so niedrig, dass es schien, als könne man sie von der Spitze des Leuchtturms aus berühren. Ich hörte zu, wie Tapio Holma Riikka die Sternbilder erklärte, und versuchte mir ihre Namen einzuprägen.
    Ich fühlte mich wohlig müde und entspannt. Das Festland lag in einer anderen Welt, unser Haus in Henttaa, der Alltag, die Espooer Polizei und mein Dienstantritt am nächsten Montag waren weit weg. Es gab nur das Meer, die Sterne, die schlafende Iida und uns sieben Erwachsene am langsam verglimmenden Feuer. Nur den wärmenden Whisky und einen fernen Vögel-schrei, von einer Seeschwalbe oder Möwe, ich wusste es nicht.
    Als ich fragte, stellte sich heraus, dass Tapio – oder Tapsa, wie er genannt werden wollte – ein begeisterter Ornithologe war, sodass das Gespräch wie von selbst auf die Vögelwelt der Insel kam. Da ich schon beim zweiten Whisky war, platzte ich heraus:
    »Letzten Herbst ist hier ein Ornithologe ums Leben gekommen, den ich kannte, ein gewisser Harri Immonen. Weiß einer von euch, wie das passiert ist?«
    Eine derart heftige Reaktion hatte ich nicht erwartet. Jiri stand polternd auf und lief zum Hafen hinunter, Anne Merivaaras Weinglas fiel klirrend auf die Steinbank, Tapsa nahm Riikka in den Arm, und Mikkes Hand mit der Pfeife zitterte. Er antwortete jedoch:
    »Du

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