Der Wind über den Klippen
III« war nun fünf Meter näher an die »Leanda«
herangeglitten. Im harten Licht der Scheinwerfer sah ich die Falten in Mikkes Gesicht und konnte ihm direkt in die Augen schauen.
»Wir können dir ein Schlauchboot rüberwerfen. Schmeiß das Feuerzeug ins Wasser. Die Leanda kommt wieder in Ordnung, du wirst sie noch viele Male segeln.«
Meine Stimme war nur noch ein Flüstern, Mikke hörte sie durch das Telefon, hielt seine Augen jedoch fest auf meine geheftet.
»Du willst büßen. Gut, dann nimm die Strafe an, die die Gesellschaft über dich verhängt. Juha hätte dich töten können, aber du hast überlebt. Wirf dein Leben nicht weg!«
Mikkes Blick durchbohrte mich, dann warf er das Telefon ins Wasser. Er nahm den Benzinkanister in die freie Hand und hielt ihn schräg. Dann sah ich nur noch eine gewaltige Flamme.
Ich schrie, als die Flamme ins Meer geschleudert wurde und Mikke ihr nachsprang. Unwillkürlich machte ich eine Bewegung zur Reling hin, sprang aber nicht ins Wasser. Der Taucher, der sich bereitgehalten hatte, warf die Decken ab und wollte gerade über Bord gehen, als Mikkes rotes Gesicht auftauchte.
»Mikke!«, schrie ich. Da begann er auf unser Boot zuzu-schwimmen. Mit klammen Fingern ließ ich die Vorderleiter herunter und stieg so weit ab, dass ich dem fast erstarrten Mann an Bord helfen konnte. Ich drückte ihn fest an mich, er zitterte vor Kälte und schluchzte, sein Körper bebte immer stärker, es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass sein Weinen in Lachen umgeschlagen war.
Die Scheinwerfer wurden abgeschaltet, die Welt um uns herum wurde schwarz, und die Kälte kroch leise über uns.
Jemand legte uns eine Decke um. Ich hielt Mikke in den Armen, bis sein hysterisches Gelächter verebbte, dann ließ ich ihn los und schickte ihn in die Kajüte, damit er sich die nassen Kleider ausziehen konnte.
Ein Polizeimeister von der »Espoo II« holte etwas zum Anziehen von der »Leanda«. Ich überredete Raitio, die Segelyacht nach Suomenoja schleppen zu lassen. Das Polizeiboot brachte Koivu, Mikke und mich in den nächsten Hafen, wo ein Streifenwagen auf uns wartete. Wir setzten uns nach hinten, Mikke schwieg, wirkte jedoch gefasst. Als ich ihn fragte, ob er einen Arzt oder einen Psychologen brauche, schüttelte er den Kopf, meinte aber kurz darauf zaghaft, er würde gern mit seiner Mutter telefonieren.
»Das lässt sich einrichten«, versprach ich. In der Tiefgarage des Präsidiums schlug ich ihm vor, von meinem Büro aus anzurufen. Koivu warf mir einen verwunderten Blick zu und fragte, ob er dabei gebraucht werde. Als ich abwinkte, erklärte er, er würde auf jeden Fall noch bleiben und den Bericht über den Fall El Haj Assad abschließen.
Ich führte Mikke in mein Büro, wählte Katrinas Nummer und reichte ihm den Hörer. Überraschend ruhig erzählte er, was geschehen war, und Katrina versprach, mit dem nächsten Flugzeug zu kommen.
Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, stand ich unschlüssig da. Ich fühlte mich elend bei dem Gedanken, Mikke in die Zelle zu schicken, doch es musste sein. Wieder fragte ich, ob er mit jemandem reden wolle.
»Dazu habe ich keine Kraft«, sagte er leise. »Aber halt mich eine Weile fest. Dann gehe ich.«
Ich trat zu ihm und umarmte ihn, unter dem Benzingestank nahm ich den vertrauten Tabakgeruch wahr. Seine Bartstoppeln kitzelten meine Wangen, sein Rücken war stark und fest. Nach einigen Minuten machte er sich los, sah mir in die Augen und sagte:
»Noch verkehrter hätte es nicht laufen können. Dass ausgerechnet du Polizistin sein musst …«
Ich lächelte nur, es war klüger, nichts zu sagen. Mikke erwiderte mein Lächeln und erklärte, nun sei er bereit. Ich rief im Zellentrakt an und bat, ihn abzuholen.
»Kommst du mich besuchen?«, fragte er, als wir an der Tür meines Büros warteten.
»Wir sehen uns wieder, wahrscheinlich schon morgen. Wenn du willst, kannst du mitkommen, wenn wir Anne und die Kinder benachrichtigen.«
Als der Wärter kam, umarmte ich Mikke noch einmal. Dann ging ich in mein Büro zurück. Ich holte den Laphroaig aus der Tasche, goss eine Kaffeetasse voll und trank sie in einem Zug aus. Im Spiegel der Puderdose betrachtete ich mein Gesicht und stellte verwundert fest, dass es unverändert war. Aber ich war ja auch nicht völlig in Stücke gegangen, nur zwei kleine Teile waren zerbrochen. Der Teil, der Pertti Ström trotz allem gern gehabt hatte. Und mein Herz, aus dem ich ein gefährlich gewordenes Stückchen herausgerissen
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