Der Windsänger
hatte jedoch so viel Schwung, dass er noch ein Stück auf dem Boden weiterrutschte, bis er schließlich liegen blieb.
Noch immer wütete um sie herum der Sturm. Die Kinder konnten nichts tun als sich im Schutz des zerstörten Kahns aneinander zu kauern und zu warten, dass der Regen aufhörte. Bowman tastete nach der silbernen Stimme des Windsängers, die noch immer an seinem Hals hing, und dachte daran, wie knapp sie dem Tod entronnen waren. Er hatte das Gefühl, dass irgendjemand oder irgendetwas sie behütete. Irgendjemand oder irgendetwas wollte, dass sie es bis nach Hause schafften, doch er hatte keine Ahnung, wer oder was das war.
»Wir werden es schaffen«, sagte er.
Kestrel und Mumpo glaubten das auch. Aramanth konnte jetzt nicht mehr weit weg sein.
Nach einer Weile wurde der heftige Regen von Schauern abgelöst und der Wind legte sich. Die Kinder krochen aus dem Schiffsrumpf hervor und sahen sich um. Der Himmel klarte auf, der Sturm zog nach Süden weiter, wo die hoch aufragenden Mauern von Aramanth hinter Regenschleiern deutlich zu erkennen waren.
»Wir werden es schaffen«, wiederholte Bowman zuversichtlich.
Stampf! Stampf! Stampf!
Triefnass, aber dennoch singend und mit einem Lächeln im Gesicht, marschierten die Saren durch die Regenschauer heran. »Töten, töten, töten, töten! Töten, töten, töten!« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren liefen die Kinder in die Richtung der Stadtmauern davon.
24 Die letzte Große Prüfung
Heute war der Tag der Großen Prüfung. Wegen des für diese Jahreszeit untypischen Unwetters hatte der Beginn der Veranstaltung verschoben werden müssen. Das war absolut außergewöhnlich. Doch nun waren die Tischreihen, die die Ränge der Arena füllten, trocken gewischt worden und die Prüfung in vollem Gange. An den Tischen saßen die Oberhäupter aller Familien der Stadt und beschäftigten sich mit den Aufgaben, die ihre Familiennote für das kommende Jahr bestimmen würden. Auf jedem Rang standen dreihundertzwanzig Tische und es gab neun Ränge – das machte fast dreitausend Prüflinge, die alle in vollkommener Ruhe arbeiteten. Nur das Kratzen der Füller auf dem Papier und die leisen Schritte der Prüfer, die ihre Kontrollgänge durch die Arena machten, war zu hören.
Rings um die neun Ränge der Arena saßen die Familien der Prüflinge dicht gedrängt auf den steilen Zuschauertribünen. Jeder, der nicht wegen irgendeiner dringenden Beschäftigung unabkömmlich war, musste am Tag der Großen Prüfung anwesend sein – um das Familienoberhaupt zu unterstützen und um zu bestätigen, dass bei der Großen Prüfung nicht nur der Einzelne, sondern seine ganze Familie bewertet wurde. Die Familien saßen nach Farben geordnet in abgetrennten Bereichen: die wenigen weißen und zahlreicheren scharlachroten Familien vor dem Palast, die orangefarbenen Familien in der Mitte, die kastanienbraunen daneben und schließlich das Meer von grauen Familien am Denkmal von Creoth dem Ersten. Maslo Inch, der Oberste Prüfer, thronte auf einem steinernen Podest, in das der Gelöbniseid eingemeißelt war.
ICH GELOBE HÄRTER ZU ARBEITEN, MIR HÖHERE ZIELE ZU SETZEN UND
IN JEDER BEZIEHUNG DANACH ZU STREBEN,
MORGEN BESSER ZU SEIN ALS HEUTE.
AUS LIEBE ZU MEINEM KAISER UND FÜR DIE
HERRLICHKEIT VON ARAMANTH.
Der Oberste Prüfer schaute auf die Uhr und stellte fest, dass bereits eine Stunde vergangen war. Er erhob sich, trat vom Podest herunter und machte einen Rundgang durch die Arena. Dabei ließ er den Blick ziellos über die gesenkten Köpfe der Prüflinge schweifen. Für Maslo Inch war die Große Prüfung immer eine Zeit, in der er wohltuende Betrachtungen anstellte, und heute, nach den Unruhen der letzten Zeit, mehr denn je. Hier saßen die Bürger von Aramanth nach Rängen geordnet zusammen und ließen sich auf faire und gerechte Weise prüfen. Niemand konnte sich über Bevorzugung oder heimliche Ressentiments gegen ihn beklagen. Alle mussten sich derselben Prüfung unterziehen und wurden auf die gleiche Weise benotet. Die Klugen und Tüchtigen konnten sich hervortun, was gut und richtig war, und die Dummen und Faulen fielen auf niedere Ränge zurück, was ebenfalls gut und richtig war. Natürlich war es unerfreulich für diejenigen, die dürftige Leistungen erbrachten, in einen schlechteren Bezirk umzuziehen, aber es war fair, denn so konnte eine andere Familie belohnt werden, die hart gearbeitet und gut abgeschnitten hatte. Und vergesst nie – in
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