Der Windsänger
Stück in die Nacht hinauf und gingen weit abseits auf die Erde nieder. Kläglich weinend rannten die übrig gebliebenen alten Kinder auf sie zu, als könnten sie sie erreichen, bevor sie verglühten. Nach einer Weile blieb der Berg still und die Zwillinge merkten, dass sie wieder allein waren.
Sie weckten Mumpo sanft, damit er nicht aufschreckte und von der Brüstung fiel. Eigentlich wurde er gar nicht richtig wach, sondern folgte ihnen ohne wirklich zu wissen, wohin es ging. So tasteten sie sich langsam voran, überquerten die Schlucht und kletterten am anderen Ende von der Brüstungsmauer auf den sicheren Boden.
Hier rollte sich Mumpo einfach zusammen und schlief wieder ein. Die Zwillinge schauten sich an und merkten jetzt erst, wie erschöpft sie waren. Kestrel legte sich hin.
»Was ist, wenn sie zurückkommen?«, fragte Bowman.
»Ist mir egal«, erwiderte Kestrel und schlief ein.
Bowman setzte sich auf den unebenen, harten Boden und beschloss die anderen zu bewachen. Doch kurze Zeit später war er ebenfalls eingeschlafen.
19 Mumpos Verwandlung
Die Zwillinge wachten auf und es war heller Tag. Die alten Kinder waren verschwunden. Bowman, Kestrel und Mumpo lagen dicht am Rand der gewaltigen Schlucht, die sie bislang nur in der Abenddämmerung gesehen hatten. Als sie nun aufstanden und ihre schmerzenden Glieder reckten, sahen sie erst, wie Furcht erregend tief diese Schlucht war, und staunten, dass sie den Abgrund auf dieser schmalen, brüchigen Mauer überquert hatten.
»Bin ich wirklich da hinübergegangen?«, fragte Bowman.
Kestrel sah sich die riesigen Steinbögen an, auf denen die Brückenreste ruhten. Jetzt konnte sie sie besser erkennen als am Abend zuvor und sie bemerkte, dass das Mauerwerk an vielen Stellen bröckelte. Einer der Pfeiler, auf denen die Bögen lagen, war am Sockel so stark von der Strömung des Flusses ausgewaschen, dass nicht mehr als eine Nadelspitze von ihm übrig zu sein schien. Doch davon erzählte sie Bowman nichts, denn auf dem Rückweg würden sie die Brücke wieder benutzen müssen.
Schließlich wachte Mumpo auch auf und verkündete sofort, er habe Hunger.
»Sieh mal, Mumpo«, sagte Kestrel und zeigte ihm den atemberaubenden Anblick des Risses-im-Land. »Wir haben diese gewaltige Schlucht überquert!«
»Haben wir auch etwas zu essen mitgebracht?«, wollte Mumpo wissen.
Bowman griff nach dem Nussstrumpf, der ihm als Waffe gegen die alten Kinder gedient hatte, und holte die Schlammnuss heraus. Sie war ziemlich angestoßen, aber immer noch besser als gar nichts. »Hier.«
Er warf sie Mumpo zu, doch der fing sie nicht auf und sie kullerte auf den Abgrund zu. Mumpo stürzte hinterher und beobachtete, wo sie hinrollte. Kniend spähte er über den Rand
des Abgrundes.
»Ich sehe sie!«, rief er. »Ich kann sie holen.«
»Ich hab noch eine«, sagte Bowman.
»Er soll sie ruhig holen, wenn er herankommt«, wandte Kestrel ein. »Wir brauchen alles Essen, das wir kriegen können.«
Sie knieten sich neben Mumpo und sahen die Schlammnuss in einem üppigen Grasbüschel liegen, das auf einem Felsen wuchs. Genau darunter wucherten ein paar Sträucher. Bowman rutschte ein Stück vom Abgrund zurück, weil ihm von dem Blick in die unendliche Tiefe schwindelig wurde. Mumpo legte sich auf den Bauch und langte nach der Schlammnuss. Er konnte sie fast berühren, aber eben nicht ganz zu fassen kriegen. Also schlängelte er sich weiter vor.
»Sei vorsichtig, Mumpo.«
Doch Mumpo hatte Hunger und dachte an nichts anderes als an die Schlammnuss, die genau vor ihm lag. Er schob sich noch ein Stück weiter vor und konnte sie mit den Fingern berühren, aber immer noch nicht packen.
»Nur noch ein klitzekleines Stück«, sagte er und robbte wieder vorwärts. Gerade als er die Hand nach der Nuss ausstreckte, da begann er plötzlich über den Rand der Schlucht zu rutschen. »Hi-i-ilfe!«, schrie er, als er merkte, dass er sich nicht halten konnte.
Kestrel warf sich auf seine Beine und umklammerte sie fest.
»So ist es besser«, stellte Mumpo fest, und während er über den Rand des Riss-im-Land baumelte, konzentrierte er sich wieder ganz auf sein Frühstück.
»Komm zurück«, rief Kestrel. »Zurück!«
»Ich hol mir nur eben die…« Seine Finger schlossen sich um die Schlammnuss, als plötzlich eine runzlige, knochige Hand aus dem Strauch darunter hervorschoss und ihn am Handgelenk packte. »Aah! Aah! Helft mir!« Vor Schreck zuckte Mumpo
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