Der Windsänger
warteten sie ab, ob sich ihre Beute zur Wehr setzen würde.
Mumpos Schrei wurde zu dem gewohnten ängstlichen Wimmern, nur schluchzte er jetzt mit der Stimme eines alten Mannes. »Passt auf, dass sie mich nicht kriegen«, krächzte er.
Jetzt spürten sie den Flügelschlag der Adler, der die Luft bewegte, und sie konnten den warmen, feuchten Pelz der Wölfe riechen. Starr vor Angst kauerten sich die Kinder aneinander und sahen zu, wie die Wölfe ihre gelblich schimmernden, scharfen Zähne bleckten und noch näher kamen.
Plötzlich ertönte ein Geräusch im Wald – ein lang gezogenes Heulen. Sofort hielten die Wölfe inne. Die großen Adler, die tief über ihnen kreisten, begannen wieder höher hinaufzusteigen. Das Heulen ertönte ein zweites Mal, laut und klagend, und nun drehten sich die Wölfe um und blickten erwartungsvoll in den Wald zurück.
Ein sehr großer, grauer Wolf trat langsam zwischen den Bäumen hervor. Jede einzelne Bewegung zeugte von seiner Macht über das Rudel. Doch er war alt geworden und seine Atemzüge wurden von einem tiefen, ächzenden Grollen in seiner breiten Brust begleitet. Er war größer als ein Hirsch und trotz seines Alters schlank und geschmeidig. Seine gelben Augen hatte er auf Bowman gerichtet.
Bowman verzog keine Miene. Die übrigen Wölfe machten ihrem Anführer Platz und der Rudelälteste trottete voran, bis er in voller Größe vor Bowman stand. Doch dann ging ein Zucken durch seinen langen, struppigen Leib, er ließ sich auf die Hinterbeine nieder und legte sich dann hin. Nun ruhte sein Kopf auf den ausgestreckten Pfoten und er starrte Bowman unverwandt an. Die anderen Wölfe folgten dem Beispiel ihres Anführers. Schließlich lagen alle Wölfe leise hechelnd rings um die Kinder.
Da begriff Bowman, was er zu tun hatte. Er hielt dem Rudelältesten seine blutende Hand hin und dieser hob seine graue Schnauze und schnupperte daran. Dann streckte er seine lange rosafarbene Zunge aus und leckte das Blut ab.
Bowman setzte sich vorsichtig mit gekreuzten Beinen hin und der Wolf legte den Kopf in seinen Schoß. Er blickte zu Bowman auf, und soweit das zwischen Mensch und Tier möglich ist, verstanden sich die beiden.
»Sie haben auf uns gewartet«, erklärte Bowman und fragte sich, wie es möglich war, dass er die Gedanken des Wolfes lesen konnte.
»Weshalb?«
»Um gegen den Morah zu kämpfen.«
Als er diesen Namen aussprach, ging ein Schauder wie eine kalte Windbö durch die Wölfe und ihr struppiges Fell sträubte sich. Der Rudelführer setzte sich auf die Hinterbeine und die anderen machten es ihm nach. Dann reckte der alte Wolf den Kopf in die Höhe und heulte noch einmal laut und klagend.
Die in der Luft kreisenden Adler hörten das Heulen und kamen so tief herunter, dass ihre Flügelspitzen die Köpfe der Kinder zu streifen schienen. Schließlich landeten sie und bildeten hinter den Wölfen einen zweiten schützenden Ring.
Bowman schaute in die schwarzen Augen der Adler und die gelben Augen der Wölfe und erkannte ihren Stolz und Mut.
Wir haben lange gewartet. Jetzt werden wir unserem alten Feind endlich gegenübertreten.
»Sie werden uns helfen«, sagte er. Er stand auf und die Wölfe erhoben sich ebenfalls. »Es ist Zeit zu gehen.«
Kestrel und Mumpo gehorchten ihm blind, da sie wussten, dass er Dinge spürte, die ihnen verborgen blieben. Die Adler breiteten die Flügel aus und schwangen sich in die Luft auf, während die Kinder und die Wölfe auf dem Großen Weg in Richtung der Berge weiterzogen.
Mumpo kam nur langsam voran – seine müden alten Knochen machten ihm schwer zu schaffen. Die Zwillinge richteten sich nach seinem Tempo, weil sie wussten, welche Angst er davor hatte, zurückgelassen zu werden. Doch nach einer Weile wurde ihm klar, dass er nicht mehr weitergehen konnte. Er setzte sich auf die Erde und fing an zu weinen.
»Lasst mich nicht im Stich«, schluchzte er.
Der Anführer der Wölfe begriff, was los war. Ein kräftiger junger Wolf sprang vor und legte sich neben Mumpo.
»Steig auf seinen Rücken, Mumpo. Er wird dich tragen.«
Sie trauten sich nicht, Mumpo zu helfen, doch nach einigen mühseligen Versuchen schaffte es Mumpo schließlich, auf den Rücken des Wolfes zu steigen und sich an seinem zotteligen Fell festzuhalten. Nun konnte die Reise weitergehen und so kamen sie den Bergen stetig näher.
Mit der Zeit wurden auch die Zwillinge müde und die Wölfe nahmen sie ebenfalls auf den Rücken.
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