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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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Bowman nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, doch wann immer er sich nach ihnen umdrehte, war nichts von ihnen zu sehen. 
    Außerdem waren da noch die Schatten vor ihnen. Inzwischen erkannten sie darin Vögel, die hoch über den Bäumen kreisten. Zuerst achteten die Zwillinge gar nicht auf sie, doch sie flogen immer tiefer und glitten lautlos auf riesigen Schwingen dahin. Eine Zeit lang waren es nur fünf oder sechs, aber als Bowman wieder aufschaute, zählte er dreizehn. Eine halbe Stunde später konnte er sie schon nicht mehr zählen: Ein Schwarm unheilvoller schwarzer Schatten zog hoch über ihnen dahin. Düstere Geschichten kamen ihm in den Sinn – von wilden Tieren, die Wanderern folgten, nach Verirrten Ausschau hielten und darauf warteten, dass ihre Kräfte sie verließen. Entsetzt lief er voran. 
    »Mumpo schafft das nicht«, sagte Kestrel. »Wir müssen langsamer gehen. Wir sollten uns ausruhen.« 
    »Nein! Wir dürfen nicht stehen bleiben!« 
    Kestrel sah sich erschrocken um, als sie die Angst in seiner Stimme hörte. 
    »Ist… schon gut«, sagte Mumpo. »Ich… komme… schon mit.« Doch er hatte kaum Atem zum Sprechen. 
    Bo, das können wir nicht machen. 
    Was sollen wir denn sonst tun? 
    Also schleppten sie sich weiter. Je langsamer sie gingen, desto frecher wurden die Vögel. Sie flogen jetzt tiefer, knapp über den Baumwipfeln, und ihre mächtigen schwarzen Schwingen warfen Schatten auf die Erde. Sie sahen aus wie Adler, nur waren sie schwarz und viel größer. Wie groß sie tatsächlich waren, war aus der Entfernung schwer zu beurteilen. 
    Plötzlich stolperte Mumpo über ein paar Steine und fiel hin. Er blieb einfach liegen und machte keine Anstalten aufzustehen. Kestrel kniete sich neben ihn, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht verletzt hatte. Doch Mumpo war einfach nur erschöpft. 
    »Er muss sich ausruhen, Bo. Ob wir es wollen oder nicht.« 
    Bowman sah ein, dass sie Recht hatte. »Es wird ihm besser gehen, wenn er etwas gegessen hat.« 
    Er nahm seine Nussstrümpfe ab und holte seine letzte Schlammnuss heraus, die er Kestrel reichte, damit sie sie Mumpo geben konnte. Mit einem plötzlichen Luftzug sauste ein schwarzer Schatten vorbei und Bowman spürte einen heftigen, stechenden Schmerz an der Hand. 
    Eher überrascht als vor Schmerz schrie er auf und griff sich an die Hand. Blut lief über seine Finger. Der schwarze Adler war bereits auf und davon, die Schlammnuss hielt er in seinen messerscharfen Klauen, die in Bowmans Haut vier gerade Linien geritzt hatten. Schockiert über die Größe des Vogels blickte Bowman auf. Drei weitere Vögel glitten dicht über ihnen dahin und lauerten darauf, dass noch mehr Essbares aus dem Nussstrumpf geholt wurde. Die Spannweite ihrer Flügel war so groß, dass sie die ganze Breite der Allee verdunkelten. 
    Mit klopfendem Herzen und vor Entsetzen geweiteten Augen lag Mumpo da und schaute zu den riesigen Adlern hinauf. Kestrel hatte instinktiv die Arme schützend über ihn gestreckt. Die Vögel ließen sich immer tiefer sinken und 
    hielten nach weiterer Nahrung Ausschau. 
    »Wirf ihn weg, Bo!«, schrie Kestrel. 
    Bowman schleuderte den Nussstrumpf so weit weg, wie er konnte. Sofort stieß ein gigantischer Adler herab, schnappte sich den Strumpf und schwang sich wieder zu den Baumwipfeln empor. Unzählig viele andere kreisten weiterhin lautlos über den Köpfen der Kinder, warteten und beobachteten sie. 
    Weil die Kinder zum Himmel aufblickten, bemerkten sie das erste Raubtier nicht, das auf leisen Sohlen zwischen den Bäumen hervortrottete, und auch das zweite nicht. Die Tiere witterten Bowmans Blut – den Geruch von Wunden und Schwäche. Sie kamen leise aus dem Wald heraus, eines nach dem anderen, und sie standen da und starrten sie aus gelben Augen an. Mumpo bemerkte sie als Erster. 
    Er schrie auf. 
    Bowman drehte sich blitzschnell um und erstarrte. Um sie herum, keine zwanzig Meter entfernt, hatte sich ein Ring von riesigen grauen Wölfen geschlossen. Mager, groß wie Hirsche, mit struppigem Fell, riesigen offen stehenden Mäulern und hängenden Zungen, hechelten sie leise und starrten die Kinder unentwegt an. 
    »Schon gut, Mumpo«, sagte Kestrel, nur damit er zu schreien aufhörte. 
    Die schwarzen Adler zogen ihre Kreise jetzt noch tiefer, sie warteten auf den Angriff der Wölfe. Ihre gewaltigen Schwingen verdunkelten die gesamte Breite der Allee. Die Wölfe trotteten näher heran und blieben wieder stehen. Offensichtlich

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