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Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Titel: Der Winter tut den Fischen gut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Weidenholzer
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auf dich auf, sagt Maria und küsst Isolde auf die Wange. Im Aufenthaltsraum läuft der Fernseher, ein Mann mit Hosenträgern mit Pferden darauf kommt Maria entgegen. Er schaut sie an, dann sagt er: Sie sind nicht von hier.

46 Die Hochzeit
    Sie gestatten, fragt der Mann. Ja, sagt Maria. Das Kleid ist weiß, der Schleier ist weiß. Maria rückt ein Stück zur Seite. Wenn man einmal Ja gesagt hat, kommt man so schnell nicht mehr davon, sagt der Mann. Danke, ich habe ausreichend Platz, Sie brauchen nicht zu rutschen.
    Maria sitzt auf der Bank vor der Kirche, die Marktfahrer haben ihre Stände aufgestellt, die Gastgärten füllen sich langsam. Das Kleid ist weiß, der Schleier ist weiß, die Schuhe sind weiß, als die Braut aus der Kirche tritt.
    Ja, sagt der Mann, es verhält sich folgendermaßen. Wenn man einmal Ja gesagt hat, ist es schwierig, Nein zu sagen. Man sagt doch ständig Ja. Haben Sie schon einmal mitgezählt, wie oft täglich Sie das Wort
ja
verwenden. Ich habe mitgezählt, ich habe die Zahl vergessen. Es war eine erstaunliche Zahl. Es ist schwierig zu zählen, wie oft man ein Wort verwendet, weil man die genaue Zahl noch während des Zählens vergisst. Ich habe mehrere Tage gebraucht, um herauszufinden, wie oft ich Ja sage. Am ersten Tag vergaß ich schon mittags mitzuzählen, am zweiten Tag vergaß ich die Zahl, am dritten führte ich eine Strichliste. Um zu einem genauen Ergebnis zu kommen, müsste man über einen längeren Zeitraum Listen führen und den Durchschnitt ermitteln. Ich vermute allerdings, dass man das Wort dann nicht mehr unvoreingenommen benutzt. Ich vermute, dass ich öfter Ja sage, wenn ich meine Aufzeichnungen mache. Um zu einem unverfälschten Ergebnis zu kommen, müsste man eine Person über mehrere Wochen hinweg durchgehend beobachten, aber so, dass die Person nicht bemerkt, dass sie beobachtet wird, weil sonst das Ergebnis verfälscht würde. Hinzu kommt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sich eine Person über einen längeren Zeitraum ohne Unterbrechung beobachten lässt, hinzu kommt, dass man als Beobachter rund um die Uhr wach bleiben müsste, wenn man auch den Schlaf überwachen will. Bestimmt, man könnte zu elektronischen Hilfsmitteln greifen, man könnte die Personen mit Video überwachen, ein Tonbandgerät würde vermutlich auch genügen, aber woher weiß man dann, dass die Ergebnisse nicht manipuliert sind. Und selbst wenn es gelingen würde, eine Person lange und intensiv genug zu beobachten, weiß man nicht, wie oft man selbst das Wort
ja
verwendet, was ja der Ausgangspunkt der Überlegung war. Man müsste mehrere Personen über einen längeren Zeitraum intensiv beobachten, daraus einen durchschnittlichen Wert ermitteln, sich selbst einen Tag möglichst unvoreingenommen beobachten und entscheiden, ob man dem Mittelwert entspricht oder nicht. Oder, vielleicht: Man könnte ein Tonbandgerät so lange am Körper tragen, bis man es nicht mehr bemerkt, bis man das Wort
ja
vollkommen unvoreingenommen benutzt. Ja, das wäre eine Möglichkeit, das wäre eine sehr gute Möglichkeit, auch für Langzeitstudien, das ist eine gute Idee, vielen Dank, dass Sie mich darauf gebracht haben. Gern geschehen, sagt Maria.
    Der Bräutigam wartet vor der Kirche, er wirkt betrunken. Nächste Woche, denkt Maria, nächste Woche werde ich nicht hier sitzen. Ich werde aufstehen, ich werde zum Amt fahren. Sehen Sie, sagt der Mann, die Braut friert in ihrem dünnen Kleid, ich würde nicht so wenig anziehen. Ja, sagt Maria, haben Sie über das Wort
ich
schon nachgedacht. Die Braut richtet ihren Schleier, der Bräutigam legt für ein Foto seinen Arm um sie. Ja, darüber habe ich nachgedacht, sagt der Mann, aber das würde meine Überlegungen durcheinanderbringen. Der Wortgebrauch ist von Person zu Person sehr verschieden. Der Bräutigam hebt den Arm, ruft einen Trinkspruch. Die Braut schweigt. Maria schweigt und überlegt, was sie nächste Woche machen wird. Das war doch eine gute Chance, hat die Schwester am Telefon gesagt, was ist passiert. Und Maria hat gesagt: Bitte, erzähl Manfred nicht davon. Der Mann schweigt. Die Tauben gurren. Dann steht der Mann auf und gratuliert dem Bräutigam. Von Herzen, sagt er, ja, ich gratuliere Ihnen von Herzen.

45 Von vorn
    Als die Tür hinter ihr zufällt, denkt Maria: Alles beginnt von vorn, am Ende der Anfang, das Ende, der Anfang, man kann es sehen, wie man möchte, Veronika würde es als Anfang sehen. Veronika, die häufig lacht und nie schlecht riecht.

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