Der Winterpalast
Cousine Sophie in Erinnerung.«
»Deine Groß cousine, Peter.«
»Ja, meine Großcousine. Sie ist nicht bucklig.«
»Wer hat behauptet, sie sei bucklig?«
»Ich weiß nicht mehr.«
»Wer hat gesagt, dass sie bucklig ist?«
»Ich weiß nicht genau, mein Mohr hat es irgendwo aufgeschnappt. Aber es stimmt nicht. Sophie ist kerngesund. Wenn wir in Eutin im Garten um die Wette gelaufen sind, hat sie immer gewonnen.«
»Das ist vielleicht kein so gutes Zeichen, Euer Hoheit, wenn eine Frau so viel Energie an den Tag legt«, bemerkte Bestuschew.
Ich sah ihn an, seine grau gepuderte Perücke, die buschigen Augenbrauen, die weichen Linien seines glatten Gesichts. Sein Samtjackett war neu, elegant geschnitten, es stand ihm gut. Es hatte die Farbe von getrocknetem Blut. An der Brust trug er ein Medaillon mit dem Bildnis der Kaiserin. Ich hatte ihn mehr als einmal im Morgengrauen aus Elisabeths Schlafzimmer kommen sehen, die Kleidung zerknittert und nicht zugeknöpft, unstete Glut in den schwarzen Augen.
Ein aalglatter Politiker? Ein alter Fuchs?
Hatte er nicht bemerkt, was ich gesehen hatte? Hoffte er immer noch, die Kaiserin habe sich noch nicht für Sophie entschieden?
»Wieso, mein Lieber?« Elisabeth runzelte die Stirn.
»Kräftige Beine? Ein ausgeprägtes Kinn? Solche Frauen sind oft herrschsüchtig, so jedenfalls hat meine eigene Erfahrung mich gelehrt, Euer Hoheit.« Der Kanzler machte eine anmutige Verbeugung. Ein gedämpftes Kichern war im Hintergrund zu hören. Bestuschews Frau, die für ihre häufigen Wutanfälle bekannt war, hatte ein ausgeprägtes Kinn.
Wie ein Schauspieler, der bereits über die nächste Pointe nachdenkt, fügte er hinzu: »Eine Erfahrung, über die ich Eurer Hoheit gern bei besser passender Gelegenheit Näheres berichten will.«
Die Kaiserin wandte sich ab.
»Ich habe beschlossen, Prinzessin Sophie hierher einzuladen«, verkündete sie. »Zusammen mit ihrer Mutter. Nichts Offizielles.
Das Haus Anhalt-Zerbst hat genügend Beweise meiner Gunst erhalten, um mir seinen Dank abzustatten.«
Ich sah, wie sich die Spannung bei den Umstehenden löste. Höflinge gaben eifrig ihrer Zustimmung Ausdruck und beeilten sich zu begründen, warum sie die Wahl der Kaiserin ganz ausgezeichnet fanden.
Sie war sehr heiter gestimmt an diesem Tag. Die Stickereien an den Säumen ihres Kleids blitzten bei jeder Bewegung, und ich weiß noch, dass ich mich fragte, wer es wohl bekommen würde, denn Elisabeth trug nie ein Kleid zweimal.
Das Porträt der kleinen deutschen Prinzessin mit dem erwartungsvollen Lächeln wurde zur Seite gestellt. Die Kaiserin streckte sich auf einer Chaiselongue aus, die Lakaien hereingebracht hatten, und bat den Grafen Rasumowski zu singen. In ihren Zügen war kein Zeichen von Ungeduld zu bemerken, während er die Saiten seiner Bandura stimmte. Sie wies den Großfürsten nicht zurecht, als er den Daumen in den Mund steckte und sein Zahnfleisch betastete. Eine Woche vorher war ihm wieder einer seiner verfaulten Zähne ausgefallen.
Wenn der Kanzler Bestuschew mit der kaiserlichen Entscheidung unzufrieden war, so ließ er sich davon nichts anmerken. Ich sah, wie er sich zu Elisabeth hinunterbeugte und ihr leise etwas ins Ohr sagte. Sie schlug ihn neckisch mit dem zusammengefalteten Fächer. Er nahm ihre Hand und küsste sie. Lange schwebten seine Lippen über ihren Fingerspitzen.
Ich schaute nicht weg.
Ich war damals sechzehn, ein flinkes junges Geschöpf mit rosigen Wangen, das bereits alle Illusionen verloren hatte, eines von zahllosen namenlosen Mädchen im russischen Reich, hübsch genug, dass man ihm den Hintern tätschelte oder ihm Obszönitäten zuflüsterte, wenn es vorbeiging. Ich wusste, dass der großartig klingende Ausdruck »ein Mündel der Krone« nur eine Bettlerin bezeichnete, die jederzeit fortgejagt werden konnte.
Es gab so viele wie mich, verwaiste oder verlassene Kinder,
die zu Füßen der Kaiserin saßen, die alle auf ein freundliches Nicken oder ein amüsiertes Lächeln von ihr warteten, auf die hauchdünne Chance, dass die Majestät sie für wert erachtete, noch einmal genauer hinzusehen. Dass sie vielleicht auf den Gedanken kam, wir könnten ihr von Nutzen sein.
Graf Rasumowski, einst ein ukrainischer Chorsänger, der mit seinen verschleierten schwarzen Augen und seiner ausdrucksstarken Baritonstimme die Zarin in seinen Bann geschlagen hatte, räusperte sich. Wir nannten ihn den Kaiser der Nacht, und er war der nachsichtigste von allen ihren Liebhabern.
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