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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Die schweren Vorhänge wurden zugezogen, Kerzen wurden angezündet. Elisabeths Gesicht schimmerte silbern in dem flackernden Licht, und die traurigen, tröstenden Akkorde ihres Lieblingsliedes klangen durch den Saal.
     
    Wenn du jemand Besseren findest, wirst du mich vergessen.
    Wenn du jemand Schlechteren findest, werden deine Gedanken mich zurückbringen zu dir.
     
    Mein Vater war Buchbinder. In unserer Heimat Polen gab es nicht genug Arbeit für ihn, einen jungen Mann mit Frau und Kindern, der es in der Welt zu etwas bringen wollte.
    Wir wären nach Berlin gezogen, wo mein Vater seinen Beruf erlernt hatte, wäre nicht Fürst Kazimierz Czartoryski, Kastellan von Vilnius, gewesen, der ihm seinen ersten Auftrag gab. Beeindruckt von seiner Handwerkskunst, versprach der Fürst meinem Vater, bei passender Gelegenheit an ihn zu denken, und er hielt Wort: Als Kaiserin Anna von Russland einige kostbare alte Bücher restaurieren lassen wollte, empfahl ihr der Fürst meinen Vater: »Das ist genau der richtige Mann für diese Aufgabe, ein Spezialist für Vergoldungen, ein echter Künstler in seinem Fach mit untrüglichem Geschmack und Phantasie.«
    Das war im Frühling 1734. Ich war damals sieben und mein kleiner Bruder war eben erst geboren.
    »Schreiben Sie ihm, er soll nach Sankt Petersburg kommen«, sagte die Kaiserin. »Hier hat ein Mann, der sein Handwerk versteht, eine Zukunft.«
     
    Eine Stadt, geschaffen aus dem Willen eines einzigen Mannes, so nannte mein Vater Sankt Petersburg. Die neue Hauptstadt von Russland war den rebellischen Wassern der Newa und der brutalen Finsternis des Winters im hohen Norden abgetrotzt worden.
    Wir kamen mit dem Schiff im Herbst 1734 in Sankt Petersburg an. Nur zu dritt – mein kleiner Bruder lag auf dem Friedhof in Warschau. Noch ein Sohn, der nicht groß werden und in die Fußstapfen seines Vaters treten würde.
    »Da liegt unser Glück«, sagte Papa und zeigte nach vorn auf die dünne Linie, über der im Morgendunst die schwebenden Umrisse von Gebäuden aufragten wie von Kinderhand gezeichnet. Hinter uns war nur schäumendes Kielwasser zu sehen.
    »Gebe es Gott.« In Mamas Stimme klang Hoffnung. In Warschau hatte eine Wahrsagerin ihr prophezeit, dass sie noch die Hochzeit ihrer Tochter mit einem mächtigen Mann erleben werde. »Er ist von Adel«, hatte die Frau gesagt und Mama lange angesehen. Es stand alles im Gewirr von Mamas Handlinien geschrieben, die Verluste, die kommen und gehen sollten, die Freude nach einer langen Reise. Mein Vater runzelte die Stirn, als er davon hörte, aber Mama war so selig, dass sie der Frau eine Silbermünze in die Hand drückte.
    Meine Mutter stammte aus einer adeligen Familie, die aber so arm war, dass ihre gehobene Stellung kaum mehr war als der bloße Titel. »Ein Haus, eine Scheune, ein paar Kühe«, sagte mein Vater immer und lachte. »Man sah ihnen an, dass sie keine gewöhnlichen Bauern waren, denn bevor dein Großvater sein Stückchen Land pflügte, zog er seine weißen Handschuhe an und schnallte sich seinen Säbel um.«
    Er erzählte gern von der ersten Begegnung mit meiner Mutter im Wohnzimmer einer Verwandten von ihr, wo sie, eine Nähna
del in der Hand, über ein Stück Spitze gebeugt dasaß, als er überraschend hereintrat. Er war gerufen worden, um ein paar alte Bücher abzuholen, die repariert werden sollten, sie war von ihrer Mutter zu dieser Familie geschickt worden, wo man sich bessere Zukunftsaussichten für sie erhoffte. Mama spürte seinen Blick, zuckte zusammen und stach sich in den Finger. »Sie haben mich erschreckt«, rief sie aus und saugte an der Wunde.
    Er verliebte sich auf den ersten Blick in sie.
    Als er ein paar Tage später wiederkam, schenkte er ihr ein Buch, das er selbst gebunden hatte, La princesse de Clèves. Nicht ohne Stolz auf ihre Französischkenntnisse zog sie meinen Papa gern ein bisschen auf, weil er ausgerechnet dieses Buch gewählt hatte. Ein Roman von einer Ehefrau, die einen anderen liebt? Von einem Ehemann, der seiner Frau nachspioniert? »Was hast du dir nur dabei gedacht?«, fragte sie.
    Er hatte nichts gedacht. Er war verliebt. Er wollte keine andere als sie.
    »Ein kluges Mädchen wie du sollte nicht Spitzenkrägen ausbessern«, sagte er.
    Sie nahm das Buch, das er ihr geschenkt hatte. Er sah zu, wie sie ehrfürchtig die mit Goldschnitt versehenen Seiten umblätterte. Sie blickte auf und musterte seine gepflegte Erscheinung, die kräftige, aber feingliedrige Figur, die entschlossenen braunen

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