Der Winterpalast
dem Pantoffel seiner anmaßenden Ehefrau stehe, für die der armselige Hof von Braunschweig der Inbegriff von Pracht und Herrlichkeit sei. Die Familie Anhalt-Zerbst habe gute Verbindungen, sei aber arm und versuche nun schamlos, die Aufmerksamkeit der Kaiserin auf sich zu lenken, indem sie daran erinnerte, dass Elisabeth selbst einmal beinahe einen aus diesem Haus geheiratet hätte. Diese brüchige Beziehung zu Russland sei aber auch das Einzige, worauf sich ihre ehrgeizigen Hoffnungen stützen könnten.
Als ein Lakai den roten Samtvorhang aufzog, sahen wir das Porträt einer schlanken, anmutigen Vierzehnjährigen, die vor dem offenen Kamin eines Salons stand. Das Mieder ihres Kleids war blassgrün, sie hatte die schlanken Hände in Höhe des Magens auf
einandergelegt. Entgegen allen Gerüchten, die zu uns gedrungen waren, war Prinzessin Sophie ganz offensichtlich nicht verkrüppelt, keine Kinderkrankheit hatte ihre Wirbelsäule verformt. Eine Aura von Leichtigkeit umgab sie, als setzte sie gerade zu einem heiteren Tanz an. Ihr Kinn stand deutlich hervor, sie hatte schmale, aber schön geformte Lippen. Sie war nicht eigentlich hübsch, aber frisch und munter, ein Kätzchen, das zusieht, wie ein Wollknäuel über den Boden rollt. Der Maler hatte dafür gesorgt, dass man die feine Blässe ihres Teints wahrnahm und die sanften Augen, deren Blau in so auffallendem Kontrast zu dem rabenschwarzen Haar stand. Und wir sahen in dem Gesicht den sehnlichen Wunsch gespiegelt, den Betrachtern zu gefallen.
Zögerndes Gemurmel erfüllte den Saal, undeutliche Kommentare, deren Richtung nicht klar festzulegen war: genuscheltes Lob, von dem man wieder abrücken konnte, Tadel, der sich zu einem verschleierten Kompliment umbiegen ließ – die Höflinge waren auf der Hut. Die Kunst der Täuschung , dachte ich, der Schmetterling, der die Augenflecken auf seinen Flügeln aufblitzen lässt, um sein Leben zu retten, Heuschrecken, die im Lauf des Sommers ihre Färbung verändern und sich ihrer Umgebung anpassen.
Die großen Herren und Damen des Hofs blickten immer noch auf das Bild, aber ich hatte etwas sehr viel Wichtigeres im Blick: das Gesicht der russischen Kaiserin, die das junge Mädchen musterte, das, wenn sie es wünschte, die Braut ihres Neffen werden würde. Das Gesicht, das ich zu lesen gelernt hatte.
Ein leises Seufzen war zu hören, die Unterlippe von Elisabeth Petrowna zuckte ganz leicht. Sie war ganz in sich versunken, ähnlich wie im Gebet. Über ihre rosig gepuderte Wange rollte langsam eine Träne.
Ich wandte mich wieder dem Porträt zu, und da erkannte ich, was die Kaiserin gesehen hatte. In den Zügen des Mädchens lag etwas Männliches, nur eine Andeutung, aber klar genug, ein ferner Reflex eines anderen, älteren Gesichts. Des Gesichts des längst
verstorbenen Verlobten. Eine Erinnerung, die sie bewahrt hatte und die sie immer noch zu Tränen rührte.
»Herr, sei seiner Seele gnädig …«
Als ich hörte, wie die Kaiserin von Russland dieses Gebet flüsterte, wusste ich, dass die Anhalt-Zerbsts einen ersten Sieg errungen hatten.
Der Chor der Stimmen wurde lauter, aber sie waren immer noch unentschieden. Kein Höfling wollte das Risiko eingehen, das Missfallen Elisabeths zu erregen. Alle hatten wie ich schon gesehen, wie sie im Zorn den nächstbesten Gegenstand gepackt und durch den Raum geschleudert hatte, eine Puderdose, die in einer weißen Staubwolke explodierte, eine Silberplastik von Amor und Psyche, die eine hässliche Schramme im Parkett hinterlassen hatte. Alle hatten ihren Mund stumm beben sehen, als wäre ihr die Zunge abgeschnitten worden.
»Sie hat ein grünes Kleid an«, sagte der Großfürst Peter. Wenn er deutsch sprach, hatten die Laute etwas hübsch Melodisches, nur sein Russisch klang unbeholfen und harsch.
Alle Augen wandten sich ihm zu.
Der Großfürst selbst war in grünen Samt mit Goldstickereien gekleidet. Sein Gesicht war damals noch nicht von Pockennarben entstellt, es war schmal und blass, aber nicht unansehnlich. Am Tag zuvor hatte ich ihn dabei beobachtet, wie er seine Hand angestarrt hatte, als enthielte sie irgendein tiefes Geheimnis, das er angestrengt zu enträtseln versuchte.
»Was meinst du, Peter?«, fragte die Kaiserin. Sie strich den Ärmel ihres Kleids glatt, ihre Finger spielten mit den Perlen auf dem prächtig burgunderroten Brokatstoff. »Sieht sie wirklich so aus wie auf dem Bild?«
»Ja, sie ist gut getroffen«, sagte der Großfürst. »Genauso habe ich meine
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