Der Wissenschaftswahn
Ganzen das Siegel der Autorität.
Am deutlichsten zeigt sich diese autoritäre Mentalität in der Auseinandersetzung mit paranormalen Phänomenen und der alternativen Medizin (siehe Kapitel 9 und 10 ). Sie werden von vornherein als Ketzerei, das heißt als unwissenschaftlich, abqualifiziert und auf keinen Fall als legitime Gegenstände rationaler Forschung angesehen. Selbsternannte Inquisitoren wie zum Beispiel das Committee for Skeptikal Inquiry geben sich alle Mühe, seriöse Medien von der Beschäftigung mit solchen Themen abzuhalten oder zu verhindern, dass Forschungsmittel für sie bereitgestellt werden oder gar die Universitäten sie in ihre Lehrprogramme aufnehmen. Dass nur eine mechanistische Medizin wirksam sein kann, ist ein Glaube mit weitreichenden politischen Konsequenzen. Es gibt viele naturheilkundliche Formen der Medizin, darunter Osteopathie, Akupunktur und Homöopathie, aber nur die mechanistische Medizin gilt als »wissenschaftlich« und genießt ein staatlich gefördertes Monopol auf Macht, wissenschaftliche Autorität und öffentliche Finanzierung.
Wissenschaft ruhte bisher immer auf einem Ideal der objektiven Wahrheit, dem zufolge immer nur
eine
Theorie recht haben kann. Deshalb hört man von Naturwissenschaftlern Ausdrücke wie »den letzten Nagel in den Sarg des Vitalismus schlagen« (siehe Einleitung) oder »den letzten Nagel in den Sarg der Steady-State-Theorie schlagen« (siehe Kapitel 2 ), immer in hämischer Vorfreude auf den Untergang abweichender Ansichten. Die scheinheilige Arroganz der Naturwissenschaft verdankt sich zu einem erheblichen Teil dieser Aura der absoluten Wahrheit, die als Überrest der absoluten religiösen und politischen Macht in der Geburtszeit der mechanistischen Wissenschaft zu sehen ist. Sicher, es gibt Meinungsverschiedenheiten unter den Wissenschaftlern, und die Wissenschaften selbst verändern und entwickeln sich ständig; doch über alle Veränderungen hinweg bleibt der Anspruch auf den alleinigen Besitz der Wahrheit bestehen. Abweichler sind Ketzer. Faire öffentliche Auseinandersetzung gehört nicht zur Kultur der Wissenschaften.
Nach dem Ideal der Aufklärung sollte Wissenschaft ein Weg der Erkenntnis sein, der die Menschheit zum Besseren wandeln würde. Wissenschaft und Vernunft waren die treibenden Kräfte. Das waren und sind wunderbare Ideale, die Generationen von Wissenschaftlern inspiriert haben. Sie inspirieren auch mich. Ich bin uneingeschränkt für Wissenschaft und Vernunft, solange sie wissenschaftlich und vernünftig sind. Aber ich bin dagegen, den Wissenschaftlern und dem materialistischen Weltbild kritisches Denken und skeptische Überprüfung zu ersparen. Was wir jetzt brauchen, ist eine Aufklärung der Aufklärung. [610]
Wissenschaftlicher Diskurs
Für eine Reform wäre es sehr wichtig, die kontroverse Diskussion in die wissenschaftlichen Institutionen hineinzutragen. Das klingt naheliegend, doch tatsächlich findet eine solche Diskussion gegenwärtig kaum statt. Kontroverse Diskussion ist einstweilen noch kein Bestandteil der Wissenschaftskultur.
Eine dieser Debatten – zugleich eines der Grundthemen dieses Buchs – müsste sich um die Frage drehen, ob Leben und Geist auf Physik zurückführbar sind. Viele Biologen glauben das. Viele Physiker haben da ihre Zweifel. »Lassen sich Leben und Geist physikalisch erklären?« – diese Diskussion könnte auf so gut wie jedem Universitätscampus geführt werden.
Die Objektivität der Naturwissenschaften könnte ein weiterer Gegenstand aufschlussreicher Diskussionen sein. In den Universitäten und wissenschaftlichen Instituten arbeiten viele Menschen, die an Wissenschaft und Vernunft als Mittel der objektiven Erkenntnis glauben. Viele teilen die weiter oben schon einmal zitierte Überzeugung Rick Gervais’: »Wissenschaft ist bescheiden. Sie weiß, was sie weiß, und sie weiß, was sie nicht weiß. Sie leitet ihre Schlussfolgerungen und Überzeugungen von harten Beweisen ab.« [611] Daneben gibt es an den Universitäten auch Historiker, Soziologen und Philosophen der Wissenschaft, die eine Diskussion darüber führen könnten, inwieweit das Ideal der wissenschaftlichen Objektivität in der wissenschaftlichen Praxis verwirklicht ist.
Schließlich die zehn Grunddogmen des Materialismus, die wir in den ersten zehn Kapiteln dieses Buchs betrachtet haben. Sie alle würden fruchtbare Diskussionsthemen abgeben, weshalb ich am Ende jedes Kapitels weitere Fragen angeführt habe, mit denen sich die
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