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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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möchte ich die Geschichte dieser Ideen beleuchten und darstellen, wie die moderne Physik Fragen aufwirft, die von den alten Theorien nicht beantwortet werden können. Der Glaube an die Erhaltung kommt ins Wanken, und genau da eröffnen sich neue, erstaunliche Möglichkeiten, was die Erzeugung von Energie, die Ernährung der Menschheit und andere Dinge angeht.

Materie, Kraft und Energie
    Basis der klassischen Newtonschen Physik ist die grundsätzliche Unterscheidung von Materie und Kraft: Materie ist passiv; Kräfte wirken auf die Materie ein und verursachen Veränderungen. Materielle Körper bleiben nach dieser Lehre entweder für immer und ewig am selben Platz, oder sie bewegen sich so lange in gerader Linie weiter, bis irgendeine beschleunigende oder richtungsändernde oder bremsende Kraft auf sie einwirkt. Kraft ist das aktive Element jeglicher Veränderung. Kraft oder Energie ist das verursachende Prinzip oder Kausalprinzip schlechthin, und da Ursache und Wirkung gleich groß sein müssen, leuchtet es ein, dass die Gesamtmenge der Kraft oder Energie immer gleich sein muss.
    Immanuel Kant ( 1724 –1804 ) legte eingehend dar, dass Materie träge sei; sie sei nur anhand ihrer Wirkungen erfahrbar, und die Ursache aller dieser Wirkung sei Kraft. Kräfte und Energien sind im Unterschied zu allem Materiellen keine Dinge, sondern haben etwas mit Abläufen in der Zeit zu tun. Sie sind schwerer greifbar. Poetisch könnten wir sagen, dass sie der materiellen Natur Leben einhauchen und das Prinzip aller Veränderungen sind.
    Ich beginne mit der über 2500 Jahre umspannenden Geschichte des Glaubens an die Erhaltung der Materie.

Ewige Atome
    Das Denken der Philosophen des alten Griechenlands kreiste um die Vorstellung, dass hinter der sich wandelnden Welt der Erfahrung eine unwandelbare ewige Wirklichkeit steht, eine ursprüngliche Einheit. Diese Überzeugung wurzelte vermutlich in mystischen Erfahrungen, die eine höhere Wirklichkeit zu offenbaren schienen, eine von Raum und Zeit unabhängige Wahrheit. Parmenides mühte sich, dieses höchste, unwandelbare Sein irgendwie zu erfassen, und kam zu dem Schluss, es müsse etwas Undifferenziertes sein, worin es keine Veränderung gibt. Letztlich konnte es nur das unwandelbare Eine tatsächlich geben, nicht aber Dinge, die sich ändern. In der Welt unserer Erfahrung jedoch gibt es viele verschiedene Dinge, die sich alle ändern. Dabei konnte es sich aus Parmenides’ Sicht nur um Illusion handeln.
    Das konnten die Philosophen, die nach ihm kamen, so nicht gelten lassen, und so bemühten sie sich um plausiblere Theorien des absoluten Seins. Für die griechischen Denker in der Tradition des Pythagoras (ca. 570 –495 v. Chr.) bestand die ewige Wirklichkeit aus unwandelbaren mathematischen Wahrheiten. Platon und seine Nachfolger glaubten an transzendente Ideen oder Formen jenseits von Raum und Zeit. Die Atomisten fanden eine weitere Erklärungsmöglichkeit. Sie sahen das absolute Sein nicht als unermessliche und undifferenzierte Sphäre, in der sich in Wirklichkeit nichts je änderte, sondern sie glaubten, es bestehe aus unzähligen undifferenzierten und unwandelbaren winzigen Dingen: aus materiellen Atomen, die sich in der Leere bewegten. Jetzt waren unwandelbare Atome die Grundlage der wechselnden Phänomene in der Welt, Materie nahm den Platz des absoluten Seins ein. [106] Die Philosophie des Atomismus oder Materialismus, erstmals von Leukipp und Demokrit im fünften vorchristlichen Jahrhundert vorgetragen, [107] war das Ergebnis einer beeindruckenden logischen Abstraktionsleistung. Niemand konnte Atome sehen oder ihr Vorhandensein nachweisen, aber es erwies sich als eine ungemein fruchtbare Idee, die nach wie vor von großem Gewicht ist. Und da Atome definitionsgemäß unzerstörbar waren, besagt sie auch implizit bereits, dass die Gesamtmenge der Materie immer gleich sein muss.
    Nach Auffassung der Atomisten werden die Bewegungen und Verbindungen der Atome von Naturgesetzen beherrscht. Götter brauchte man dazu nicht, und das Universum brauchte auch keine göttliche Zielsetzung. Selbst die menschliche Seele beruhte nach dieser Auffassung auf atomaren Verbindungen und verschwand mit dem Tod, während die beteiligten Atome dann in neue Mischungen und Verbindungen eingingen – sie waren das einzig Dauerhafte, ewig unveränderlich.
    Der Reiz der atomistischen oder materialistischen Philosophie im vorchristlichen Griechenland und Rom lag wohl darin, dass sie Skepsis gegenüber dem

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