Der Wissenschaftswahn
Atomismus zu einer äußerst fruchtbaren Theorie.
Das Ende der festen Materie
Je weiter die Erforschung der Atome vordrang, desto deutlicher zeichnete sich ab, dass sie nicht die Grundeinheiten der Materie waren, nicht »feste, massive, harte, undurchdringliche, bewegliche Teilchen«, wie Newton gemeint hatte, sondern eher Aktivitätsmuster. Von den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts an stellte die Quantentheorie die Bestandteile des Atoms – Elektronen, Kerne und Kernteilchen – als energetische Schwingungsmuster in Feldern dar. Sie verhalten sich ähnlich den Photonen oder Licht-Quanten wie Wellen
und
wie Teilchen. Durch die moderne Physik, so drückte es der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper aus, hat sich »der Materialismus selbst transzendiert«. [111] Und weiter:
Materie erweist sich als dicht gepackte Energie, die in andere Energieformen überführbar ist, und folglich als eine Art
Prozess
, da sie in andere Prozesse wie Licht und natürlich Bewegung und Wärme konvertiert werden kann. Demnach lässt sich sagen, die Ergebnisse der modernen Physik legten uns nahe,
die Idee einer Substanz oder Essenz
abzulegen. Sie deuten an, dass es keine selbstidentische Entität gibt, die durch alle Veränderungen in der Zeit hindurch bleibt, was sie ist … So stellt sich das Universum jetzt nicht mehr als eine Sammlung von Dingen dar, sondern als Interaktionsgeflecht von Ereignissen oder Prozessen (was vor allem A. N. Whitehead hervorhob). [112]
Inzwischen ist es nach der von Richard Feynman so brillant dargelegten Theorie der Quantenelektrodynamik so, dass virtuelle Teilchen wie Elektronen und Photonen aus dem über das Universum ausgebreiteten Quantenvakuumfeld oder Nullpunktsfeld auftauchen und wieder darin verschwinden. Feynman bezeichnet diese Theorie als das »Kleinod der Physik«, weil sie so unglaublich präzise Voraussagen macht – auf viele Stellen hinter dem Komma genau.
Diese Genauigkeit hat ihren Preis, man muss nämlich unsichtbare und nicht beobachtbare Teilchen und Interaktionen sowie ein mysteriöses Quantenvakuumfeld hinzunehmen bereit sein. Nach der Quantenelektrodynamik werden alle elektrischen und magnetischen Kräfte von virtuellen Photonen vermittelt, die aus dem Quantenvakuumfeld hervortreten und wieder in ihm aufgehen. Wenn Sie einen Blick auf den Kompass werfen, um zu sehen, wo Norden ist, interagiert die Nadel über virtuelle Photonen mit dem Magnetfeld der Erde. Wenn Sie einen Ventilator einschalten, wird dessen Elektromotor in Gang gesetzt, weil plötzlich virtuelle Photonen in ihm sind, die Kräfte ausüben. Und wenn Sie sich hinsetzen, trägt Sie der Stuhl, weil die Sitzfläche und Ihr Gesäß aufgrund eines dichten Wechselspiels der Erzeugung und Zerstörung virtueller Photonen einander abstoßen. Wenn Sie aufstehen, kommt ein Großteil dieser Aktivität im Vakuumfeld zum Stillstand, aber jetzt erscheinen Wolken von virtuellen Photonen zwischen Ihren Füßen und dem Boden, immer da, wo Sie die Füße hinsetzen. Alle Moleküle in Ihrem Körper, alle Zellwände und alle Nervenimpulse hängen davon ab, dass im alles durchdringenden Vakuumfeld der Natur ständig Photonen auftauchen und verschwinden. Wie es der Physiker Paul Davies ausdrückte: »Ein Vakuum ist nicht ereignis- und eigenschaftslos, sondern vibriert vor Energie und Lebendigkeit.« [113]
Wir haben uns schon sehr weit von dem schlichten Glauben entfernt, Atome seien winzige feste und gleichbleibende Dinge. Nach der gegenwärtigen Theorie ist die Materie selbst ein energetischer Prozess, und Masse hängt von der Interaktion mit Feldern im Vakuum ab.
Sogar Masse, das quantitative Maß der Materie, erweist sich als etwas zutiefst Rätselhaftes. Nach der Standardtheorie der Teilchenphysik liegt die Masse eines Teilchens, etwa eines Elektrons oder Protons, nicht in ihm selbst, sondern entsteht durch Interaktion mit dem Higgs-Feld, benannt nach dem theoretischen Physiker Peter Higgs, der es 1964 postulierte. Die Physiker denken sich dieses Feld als eine Art universalen Sirup, der an den für sich selbst masselosen Teilchen, die sich in ihm bewegen, »festklebt« und ihnen dadurch Masse verleiht. [114] Die Masse eines Elektrons entsteht also durch seine Interaktion mit dem Higgs-Feld, und die vollzieht sich über Teilchen, die Higgs-Bosonen genannt werden – und hypothetischer Natur sind. Es gibt keine allgemein akzeptierten Annahmen über die zu erwartende Masse dieses Teilchens, und es ist auch trotz milliardenschwerer
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