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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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Anteile (als die von Menschen erfundenen Maschinen), an denen mehr vom Gewebe der Welt zu erkennen ist und die folglich bessere Schlüsse auf den universalen Ursprung des Systems zulassen. Diese Anteile sind die Tiere und Pflanzen. Die Welt ähnelt ganz einfach eher einem Tier oder Gemüse als einer Uhr oder einem Strickrahmen … Und ist nicht ein Tier oder eine Pflanze, die der Vermehrung entspringen, der Welt ähnlicher als jede künstliche Maschine, wie sie dem Denken und einem Bauplan entspringt? [102]

    Im Licht der modernen Kosmologie kann man Humes Weitblick nur bewundern. Bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dachten sich die meisten Wissenschaftler das Universum als Maschine, dazu noch als eine ablaufende Maschine, die ihrem »Wärmetod« entgegenstrebte. Nach dem 1855 formulierten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik wird es im Universum im Laufe der Zeit immer weniger energetische Potenzialdifferenzen geben und die Fähigkeit, irgendetwas zu bewirken, wird zum Erliegen kommen. Am Ende steht, wie es Lord Kelvin ausdrückte, »ein Zustand von universaler Ruhe und Tod«. [103]
    1927 stellte Georges Lemaître, ein Kosmologe und katholischer Priester, die Hypothese auf, die etwas von Humes Idee vom Ursprung der Welt in einem Ei oder Samen hatte. Aus seiner Sicht begann das Universum wahrscheinlich mit einem »schöpfungsähnlichen Augenblick«, den er als das »im Augenblick der Schöpfung explodierende Ei« umschrieb. [104] In dieser neuen Kosmologie, später Urknall genannt, klangen viele archaische Ursprungsgeschichten an, etwa der altgriechische Schöpfungsmythos vom kosmischen Ei oder der altindische Mythos vom
Hiranyagarbha
oder Goldenen Ur-Ei. [105] Die Ei-Metapher enthält einen wichtigen Hinweis, nämlich dass der Ur-Anfang sowohl eine Einheit als aus eine Polarität war. Ein Ei stellt eine polarisierte Einheit dar, da es aus Dotter und Eiweiß besteht – ein sprechendes Symbol für die Entstehung des Vielen aus dem Einen.
    Lemaîtres Theorie sagte voraus, dass wir in einem expandierenden Universum leben, und das bestätigte sich, als man herausfand, dass andere Galaxien mit einer ihrer Entfernung proportionalen Geschwindigkeit von unserer Galaxie wegstreben. 1964 wurde die schwache Hintergrundstrahlung des Universums entdeckt, eine kosmische Mikrowellenstrahlung, die so etwas wie ein »fossiles Licht« aus der Frühzeit des Kosmos kurz nach dem Urknall zu sein scheint. Die Hinweise auf ein »schöpfungsähnliches Ereignis« verdichteten sich immer mehr, und schon 1966 galt die Urknalltheorie als allgemein akzeptiert.
    Die gegenwärtige Kosmologie erzählt jetzt von einem Universum, das als extrem kleines Gebilde begann, kleiner als ein Stecknadelkopf, und unvorstellbar heiß war. Seither dehnt es sich aus. Während es sich ausdehnt, kühlt es ab, und dabei entstehen neue Formen und Strukturen – Atomkerne und Elektronen, Sterne, Galaxien, Planeten, Moleküle, Kristalle und biologisches Leben.
    Die Maschinenmetapher hat ihre Nützlichkeit längst eingebüßt, und jetzt behindert sie das wissenschaftliche Denken in Physik, Biologie und Medizin. Unser wachsendes und evolvierendes Universum ähnelt viel eher einem Organismus, und das gilt ebenso für die Erde, für Eichen, für Hunde, für Sie und mich.

Was könnte daraus folgen?
    Sind Sie in der Lage, sich selbst als genetisch programmierte Maschine in einem mechanischen Universum zu sehen? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich kann das nicht einmal ein eingeschworener Materialist. Wir fühlen uns doch eher als Lebewesen in einer lebendigen Welt – zumindest am Wochenende. Trotzdem besteht eine Loyalität gegenüber dem mechanistischen Weltbild, und die regiert unser Arbeitsleben.
    Würden wir uns zur Lebendigkeit der Natur bekennen, dürften wir gelten lassen, was wir bereits wissen: dass Tiere und Pflanzen lebendige Organismen mit ihren eigenen Zielsetzungen sind. Wer gärtnert oder Haustiere hält, weiß ohnehin schon, dass sie auf ihre ganz eigene Art kreativ auf ihre Lebensbedingungen reagieren. Aber anstatt uns doch immer wieder dem mechanistischen Dogma zu beugen, könnten wir unsere Beobachtungen und Erkenntnisse im Blick behalten, um aus ihnen zu lernen.
    Was die Erde angeht, können wir davon ausgehen, dass die Gaia-Theorie keine einzelne poetische Metapher in einem ansonsten mechanischen Universum darstellt. Und wenn wir die Erde einmal als Lebewesen erkannt haben, öffnet sich uns der Zugang zur Lebendigkeit des Kosmos. Wenn

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